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Wahlveranstaltung

Drei Zürcher bei den Romands – und warum Roger Köppel ein SVP-Bundesratskandidat werden könnte

Die Zürcher SVP-Aushängeschilder Blocher, Köppel und Mörgeli treten an einem Anlass der UDC Vaud in Lausanne auf und sprechen einen Abend lang Französisch. Die Frage ist: Wohin geht es mit Roger Köppel nach den Wahlen?

Comment régler le chaos?

Die Sicherheitsvorkehrungen für den Anlass im Kongresszentrum Palais de Beaulieu in Lausanne sind scharf. Als ich am Eingang zum Anlass dem hinzugezogenen Chef der Security ein E-Mail von Claude-Alain Voiblet (SVP) zeige, in dem er mir die Akkreditierung für den Event zusichert, lacht er nur, und sagt, so ein E-Mail, das könne doch jeder hier zeigen. Bald darauf werde ich dann aber doch zur Medienkonferenz zugelassen. Als mich Roger Köppel (SVP) erkennt, ruft er mir gleich auf Französisch und im Scherz zu, ich dürfe dann hier keine Fotos machen, sonst würde ich rausgeschmissen (vgl. «Per sofort kein Zutritt mehr zum Bundeshaus für Nachbern.ch»).

Roger Köppel, Christoph Blocher und Christoph Mörgeli an einem SVP-Event in Lausanne am 2. Oktober 2015.

Eine Journalistin will wissen, wie das Asylchaos denn nun konkret aussehe, sie könne sich das nicht vorstellen. Blocher antwortet, dass das Schengen/Dublin-System nicht mehr funktioniere. Es sei halt alles relativ. Was für einen Italiener vielleicht noch kein Chaos sei, ist für einen Schweizer schon längst ein Chaos. Ob es Gemeinsamkeiten gebe mit der französichen Partei Front National? Nein, antwortet Blocher, das sei eine linke Partei mit etatistischen Lösungen.

Christophe #Blocher #UDC: "Nous sommes différents du @FN_officiel. Eux veulent plus d'État, ils sont de gauche" @la_tele

— Nasrat Latif (@NasratLatif) October 2, 2015

Es sei das dritte oder vierte Mal, dass Blocher in der Romandie ist, erzählt Organisator Voiblet den anwesenden Journalisten, von denen viele jung sind und einen Migrationshintergrund zu haben scheinen. Er sei sehr froh, diese drei Persönlichkeiten hier zu haben, was natürlich sofort die Frage hervorruft, weshalb drei Zürcher hier auftreten. Hat es denn keine attraktiven Kandidaten unter den Romands? Die SVP des Kantons Waadt wurde in den letzten vier Jahren von Bauern und Winzern vertreten, und einem Agraringenieur. Eine ausdrückliche Unterstützung erhalten die bisherigen Kandidaten André Bugnon (SVP), Jean-Pierre Grin (SVP), Guy Parmelin (SVP) und Pierre-François Veillon (SVP) keine. Auf der Website sind die wieder antretenden Bisherigen zusammen mit den neuen Kandidaten alphabetisch aufgeführt. Köppels «Weltwoche» beklagt sich zudem in der Titelgeschichte der aktuellen Ausgabe über den fehlenden Liberalismus vieler in der SVP: «Als schwer zu überzeugen gelten die meisten Romands», steht beispielsweise darin. Das Abstimmungsverhalten von Parmelin wird im Artikel gleich zweimal erwähnt.

Auf die Bühne kommen sie alle nicht heute. Die Kandidaten der Jeunes UDC Vaud jedoch schon:

Roger Köppel, Christoph Blocher und Christoph Mörgeli an einem SVP-Event in Lausanne am 2. Oktober 2015.

Bei ihnen sind die Zürcher gefragt als Autogrammschreiber:

Affiche dédicacée par Blocher, @koeppel @ChrMoergeli #CHvote #UDC #JUDC #cde pic.twitter.com/hzmx6N7P6o

— Karlen&Petit2015 (@KarlenPetit2015) October 2, 2015

Apropos Weltwoche: Blocher bedauert an der Medienkonferenz, dass es in der Romandie nicht ein Journal wie die Weltwoche gebe, vielleicht müsse sich eines gründen. Einige Ausgaben des Wochenmagazins werden nach dem Anlass verteilt, zusammen mit dem Parteiprogramm und einer SVP-Zeitung mit dem Titel «Edition Speciale». Das «Spezialdossier Asyl» der Weltwoche ist gleich der für die Journalisten zusammengestellten Medienmappe beigelegt. Nach dem Anlass führe ich mit einem Walliser ein Kurzinterview für die Rubrik «Schweizer Wähler». Als ich seinem schnellen Französisch kaum folgen kann, lacht er, auch er sei dazu gezwungen, besser deutsch zu lernen, wenn er die Weltwoche lesen und verstehen wolle.

Roger Köppel, Christoph Blocher und Christoph Mörgeli an einem SVP-Event in Lausanne am 2. Oktober 2015.

Roger Köppel, Christoph Blocher und Christoph Mörgeli an einem SVP-Event in Lausanne am 2. Oktober 2015.

Die in die Halle strömenden Gäste sehen auch nicht anders aus als SVP-Anhänger in der Deutschschweiz; viele sind grauhaarig und wirken eher rural als urban. Sie brauchen aber eine Zutrittsberechtigung, um überhaupt hereinzukommen. Haben sie keine, werden sie von zwei «Securitas»-Angestellten – einer weissen Frau und einem schwarzen Mann – genaustens untersucht. Der Saal dann füllt sich mit ein paar Hundert Personen etwas mehr als zur Hälfte. Wenn Blocher auf «Tele Blocher» erzählt (ab Minute 17:30), dass seine Wahlveranstaltungen «ausnahmslos ganz gut besucht» und «immer voll» sind und ausserdem von «sehr vielen jungen Leuten zwischen 18 und 30» besucht werden, dann ist das – zumindest was diesen Anlass in Lausanne angeht – nicht haltbare Wahlpropaganda.

Roger Köppel, Christoph Blocher und Christoph Mörgeli an einem SVP-Event in Lausanne am 2. Oktober 2015.

Zuerst wird das Partei-Musikvideo «Welcome To SVP» gezeigt, was eine erstaunlich grosse Erheiterung auslöst. Offenbar haben es die meisten Leute hier noch nie gesehen. Obwohl der Song auf Schweizerdeutsch ist, kommt er gut an. Überhaupt ist es ein äusserst dankbares Publikum. Blocher muss nur «Madame Sommaruga» sagen, und schon lachen die Leute. Man scheint sich hier einig zu sein, dass die EJPD-Vorsteherin und Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (SP) eine Lachnummer ist.

Die drei Zürcher sprechen alle frei und gut Französisch, auch wenn ihnen natürlich nicht immer alle Ausdrücke sofort präsent sind. Christoph Mörgeli (SVP) muss seine Sprachkenntnisse allerdings kaum beweisen. Er liest seinen historischen Vortrag, der den ganz grossen Bogen von der Bibel und dem Bundesbrief über die Hugenotten und die Uhrenindustrie bis zu den Flüchtlingen im 2. Weltkrieg schlägt, vom Blatt ab und erhält keine Fragen, weder an der Medienkonferenz noch am Anlass.

Roger Köppel, Christoph Blocher und Christoph Mörgeli an einem SVP-Event in Lausanne am 2. Oktober 2015.

Christoph Blocher (SVP) spricht die Sprache spätestens seit seiner Zeit als Bundesrat. Und Roger Köppel (SVP)? Er muss geübt haben. Die drei teilen sich den Abend in eine historisch-theoretische Rede, eine Unterhaltungsrede und eine Kampfrede auf: Historiker Mörgeli legt die Grundlage mit einem ernsten, historischen Unterbau. Danach lockert Altstar Blocher das Publikum als freier Unterhaltungsredner auf – und erhält schon in den ersten Minuten viele Lacher. Zuletzt folgt dann die Kampfrede von Roger Köppel, die, auch wenn sie keineswegs brüllend gehalten wird, mehrfach von spontanem Applaus unterbrochen wird; zum Beispiel, als er sagt, die Politiker in Bern würden in einem Paralleluniversum leben. Er glaube nicht, dass es Departementschefin Simonetta Sommaruga und Staatssekretär Mario Gattiker «können», man müsse das Personal wechseln dort. «Wenn man die Probleme lösen will, dann muss man die richtigen SVP-Leute nach Bern schicken! Es braucht Leadership in Bern!» Grosser Applaus am Ende, vielleicht der grösste Applaus des Abends.

Es stellt sich die Frage, wohin es mit Roger Köppel nach den Wahlen geht. Ist es ein Zufall, dass er Französisch geübt hat? Dass er als Kandidat für den Zürcher Nationalrat auf Listenplatz 17 in Lausanne Vorträge hält? Dass er sowohl bei der Medienkonferenz als auch beim Anlass den Platz in der Mitte, zwischen Mörgeli und Blocher, erhält? Dass er von Leadership redet, die es in Bern dringend brauche? Hier mal vier Szenarien:

1. Köppel wird nicht Nationalrat
Möglich, aber unwahrscheinlich. Durch seine Bekanntheit wird er von vielen Panaschier-Stimmen profitieren, die es für eine lustige Idee halten, ihn ins Parlament zu wählen.

2. Köppel wird in den Nationalrat gewählt und bleibt Nationalrat
Möglich. Aber mich würde es eher überraschen, wenn er es vier Jahre lang aushält, in den Kommissionen zu sitzen und im Saal die Abstimmungsknöpfe zu betätigen.

3. Köppel wird in den Nationalrat gewählt und tritt nach kurzer Zeit zurück
Für die Partei eine sehr gute Lösung. Sie kann mit ihm neue Wählerschichten für die Zürcher SVP-Liste erschliessen und zieht nach dem Rücktritt einfach einen Kandidaten nach.

4. Köppel wird in den Nationalrat gewählt und tritt an zur Bundesratswahl
Ich halte es für nicht unwahrscheinlich, dass der äusserst ehrgeizige Köppel nach einem SVP-Wahlsieg als Bundesratskandidat präsentiert wird. Als einer, der – so das Parlament will – als Bundesrat aufräumt mit dem angeblichen «Asylchaos» im Departement Sommaruga. Oder der – so das Parlament nicht will – die Partei in die Opposition führt.

Roger Köppel, Christoph Blocher und Christoph Mörgeli an einem SVP-Event in Lausanne am 2. Oktober 2015.

Die SVP-Unternehmer werden sich einig sein, dass es für den Management-Job des Bundesrats vor allem unternehmerische Qualitäten benötigt und nicht zwingend Erfahrung in der Politik. Vielleicht hören wir davon in der Elefantenrunde am Wahlabend. Oder dann in vier oder acht Jahren. Konkret von der «Schweiz am Sonntag» auf eine Kandidatur als Bundesrat angesprochen, antwortete Köppel mit einem Zitat, das angeblich von Golo Mann stammt: «Überschätzen Sie mich heute nicht, auf dass Sie mich morgen nicht unterschätzen.» Das Zitat kann mannigfaltig gedeutet werden. Aber wäre die Idee völlig abwegig – hätte sie Köppel nicht einfach dementieren können? Ob die Bundesrats-Findungskommissionen der SVP und die in den Medien von Seiten der SVP genannten Kandidaten mehr Nebelpetarden oder mehr Realität waren, wird wohl schon kurz nach den Wahlen Klarheit.

Denkbar sind auch Zweiertickets mit Kandidaten, die für das Gedankengut der Blocherschen SVP stehen, also Blocher selbst, seine Tochter Magdalena Martullo-Blocher (SVP) oder ein anderer in den letzten Jahren zu nationaler Bekanntheit aufgebauter Kandidat. Zu beachten sind auch die Sprachregionen: ein Rücktritt des Zürcher Bundesrats Ueli Maurer (SVP), von dem sich die Blochersche SVP irgendwie mehr versprochen hat, würde den Weg für Zürcher Kandidaten frei machen.

Der Anlass der UDC Vaud fand am 2. Oktober 2015 im Palais de Beaulieu in Lausanne statt.

Nachtrag, 13. Oktober 2015, 10 Uhr:
Die Möglichkeit, dass Ueli Maurer (SVP) zurücktreten und zwei neuen Kandidaten Platz machen könnte, wird heute auch vom „Blick“ thematisiert:

"Blick" vom 13. Oktober 2015

Oktober 12, 2015von Ronnie Grob
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Schweizer Wähler

Zürich, 9. Oktober 2015, 17:12 Uhr

Zürich, 9. Oktober 2015, 17:12 Uhr

«Ich kann nicht wählen, weil ich Deutscher bin. Zwar lebe ich seit acht Jahren in der Schweiz, aber einen Schweizer Pass habe ich noch nicht. Ich verfolge die Wahlen aber und finde das politische System in der Schweiz faszinierend. Es weist doch ziemlich viele Unterschiede zu Deutschland auf. Die Parteienlandschaft beispielsweise erscheint mir hier breiter und bunter. In Deutschland habe ich meistens die Grünen gewählt, und könnte ich hier wählen, würde ich mich wohl mal intensiv mit den Grünliberalen auseinandersetzen, die könnten interessant sein für mich. Im Moment finde ich das Flüchtlingsthema wichtig. Wenn man aber längerfristig denkt, dann sind die Sicherung der Sozialsysteme oder die Staatsverschuldung die relevanteren Themen, auch wenn sie unsexy sind. Nie wählen würde ich die SVP, weil ich den Stil dieser Partei nicht mag und auch finde, dass ihre Methoden die Grenze zu unlauterer Propaganda zu oft überschreiten.»

Oktober 12, 2015von Ronnie Grob
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Schweizer Wähler

Gamsen, 29. September 2015, 20:57 Uhr

Gamsen, 29. September 2015, 20:57 Uhr

«Als CVP-Mitglied werde ich die CVP unterstützen. Ich werde innerhalb der Liste kumulieren, und höchstens mit der Liste der Jungen CVP panaschieren. Für das Wallis ist der Tourismus wichtig, besonders bei uns im Oberwallis ist das ein wichtiger Wirtschaftszweig. Zweitens ist die Energiepolitik wichtig. Mit der Wasserkraft haben wir eine einzigartige Ausgangslage im Kanton. Wir müssen hier die Infrastruktur erweitern und mehr Strom mit Wasserkraft produzieren. Umweltverbänden sollte weniger Möglichkeiten eingeräumt werden, Einsprachen zu erheben, denn Wasserkraft ist eine saubere Energie, die am Ende allen dient. Nie wählen würde ich SP: Mit den Vorstellungen und Ideologien dieser Partei stehe ich absolut konträr im Raum. Ich glaube, die SP hat die Funktionsweise der Wirtschaft nicht verstanden.»

Oktober 11, 2015von Ronnie Grob
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Schweizer Wähler

Brig, 28. September 2015, 17:25 Uhr

Brig, 28. September 2015, 17:25 Uhr

«Ich wähle, ja. Und zwar nehme ich eine leere Liste, fülle oben eine Partei aus und dann wird panaschiert, mit Kandidaten aus verschiedenen Parteien. Mir sind vor allem drei Themen wichtig: Wirtschaft, Umwelt und Gesundheit. Ich wähle dann Personen aus, nach den Kriterien Persönlichkeit und Kompetenz. Nie wählen würde ich die SVP, diese Partei ist chancenlos bei mir.»

Oktober 10, 2015von Ronnie Grob
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Schweizer Wähler

Bern, 1. Oktober 2015, 11:33 Uhr

Bern, 1. Oktober 2015, 11:33 Uhr

«Selbstverständlich gehe ich wählen. Ich werde wohl eine FDP-Liste nehmen und mit GLP-Kandidaten panaschieren. Oder eine GLP-Liste nehmen und mit FDP-Kandidaten panaschieren. Auf jeden Fall werde ich Ruedi Noser (FDP) in den Ständerat wählen. Alle anderen konkreten Entscheidungen fälle ich beim Ausfüllen; ich habe mich bereits in den Zeitungen informiert und werde auch die den Wahlzetteln beigelegte Propaganda studieren. Wichtig sind mir Offenheit und Wirtschaftsförderung, und dass man Ja sagt zum Fortschritt, statt zu allem Nein zu sagen. Nicht wählen würde ich Parteien ganz links aussen und ganz rechts aussen.»

Oktober 9, 2015von Ronnie Grob
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Wahlveranstaltung

Tourismus und Energie, Abgottspon, Raclette in der Industriehalle

Ein Ausflug ins Wallis führt mich zu den Ständeratskandidaten des Kantons, zu einem Kirchenkritiker namens Abgottspon und in eine Industriehalle, in der Volksmusik gespielt und Fondue serviert wird.

Ich erinnere mich an den Vortrag von Migros-Lobbyist Martin Schläpfer. Die aggressivsten, charmantesten und besten Lobbyisten seien die Walliser, erzählte er. Im Vergleich mit ihnen seien die Ostschweizer geradezu unfähig, sich in Bern für ihre eigenen Belange einzusetzen. Stimmt das? Ich fahre ins Wallis, um das herauszufinden. Zunächst nach Brig, wo sich die vier Oberwalliser Ständeratskandidaten an einem Wahlpodium vor rund 100 Besuchern rhetorisch messen.

Brig, Wallis, 28. September 2015
Von links nach rechts: Priska Dellberg (SRF), Thomas Burgener (SP), Beat Rieder (CVP), Pierre-Alain Grichting (FDP), Franz Ruppen (SVP) und Silvia Graber (SRF).

Die Themenwahl des Abends überrascht den Unterländer. Es wird nicht etwa über das Thema gesprochen, welches die Schweizer wie kein anderes bewegt, die Migrationspolitik. Sondern über den Tourismus und die Energiepolitik (und ein bisschen auch noch über den starken Franken und den Wolf). Beim Tourismus ist die Lage klar, so schreibt es auch das SRF: «Weitgehend einig waren sich die Kandidaten bei der Frage, dass der Tourismus weitreichende Unterstützung brauche von der öffentlichen Hand.»

Und bei der Energiefrage? Nimmt kurzerhand der moderierende Journalist (Herold Bieler, «Walliser Bote») die auf dem Podium nicht existierende grüne Position ein und fragt, wo Energie gespart werden könnte. Die Positionen der Kandidaten sind erwartbar: Beat Rieder (CVP) ist auf der Linie seiner Bundesrätin: «Der Atomausstieg ist eine beschlossene Sache und wird bis 2050 Tatsache sein! 2019 wird Mühleberg abgestellt, danach fährt Beznau und Leibstadt herunter.» Franz Ruppen (SVP) ist gegen die Energiewende: «Ich bin gegen die Energiestrategie 2050. Noch niemand konnte mir aufzeigen, wie das funktionieren soll.» Thomas Burgener (SP) hofft auf erneuerbare Energien: «Photovoltaik wird sich durchsetzen. Es gibt keinen besseren Kanton für alternative Energien in der Schweiz als das Wallis.» Überraschend ist nur die Position von Pierre-Alain Grichting (FDP), der sich als der Liberale auf dem Podium explizit gegen eine Liberalisierung (des Strommarkts) ausspricht: «Wenn die Preise liberalisiert werden, dann kaufen die Firmen den billigen Strom aus Deutschland.»

Brig, Wallis, 28. September 2015

Die Veranstaltung ist vom Regionaljournal Bern Freiburg Wallis organisiert. Den anschliessenden, reichhaltigen Apéro bezahlt die SRG Wallis:

Brig, Wallis, 28. September 2015

Auch wenn sie redlich bemüht sind, sich voneinander abzugrenzen, unterscheidet die vier bürgerlichen Ständeratskandidaten (Rieder, Ruppen, Grichting und der nicht anwesende Jean-René Fournier (CVP)) wenig. Hier ihre vier Spider gemäss Vimentis:

Vimentis-Spider der vier bürgerlichen Ständeratskandidaten

Wer ist wer? Die Unterschiede sind marignal.

* * *

Am Tag darauf treffe ich mich am Mittag mit Oberstufenlehrer Valentin Abgottspon zu einer deftigen Käseschnitte in der «Walliser Wii Stuba». Er glaubt, es sei bei nicht wenigen Politikern im Wallis Zufall, in welcher Partei sie sind: «Die Parteizugehörigkeit wurde dadurch entschieden, in welchem Jahr sie mit Politik anfingen oder in welcher Partei der Vater war.» Das könnte die nicht liberale Position des Liberalen Grichting erklären.

Ist man im Wallis nicht auch arg protektionistisch? Der Eindruck, dass man sich zuerst als Walliser versteht, und dann als Schweizer, trüge nicht, sagt Abgottspon. Doch die Bündner beispielsweise seien da nicht anders: «Die Frage ist, ob dieses Selbstbewusstsein gerechtfertigt ist. Das Wallis ist eine strukturschwache Region und per Finanzausgleich Empfänger von Hunderten von Millionen Franken jedes Jahr. Vielleicht sollte man diese Zahlungen stoppen, bis das Wallis Grundrechte eingeführt hat. Denn im Wallis kann man bis heute auf der Steuerrechnung nicht erfahren, wie viel von den Steuern an die Kirche geht. Hier zahlt einfach die Gemeinde das Defizit, die Kirchensteuer wird nicht offen ausgewiesen. Wer aus der Kirche ausgetreten und ihr nichts bezahlen möchte, muss jedes Jahr einen Rückforderungsantrag stellen und erhält dann doch nicht das zurück, was sie tatsächlich kostet.»

Valentin Abgottspon

Im Oberwallis kralle sich die CVP an gestrige Gesellschaftsideen und weigere sich, im 21. Jahrhundert anzukommen, kritisiert Kirchenkritiker Valentin Abgottspon, der als Vize-Präsident der Freidenker-Vereinigung der Schweiz für eine saubere Trennung zwischen Kirche und Staat einsteht: «Als Lehrer war ich jedes Schuljahr mit 32 Terminen konfrontiert, die irgendwas mit der Kirche zu tun hatten. Ausserdem finde ich es sehr stossend, dass es Kruzifixe hat in den Gerichtssälen und den Schulen.» Abgottspon wurde 2010 an einer staatlichen Schule fristlos entlassen, weil er in seinem Schulzimmer kein Kruzifix aufhängen wollte und sich allgemein für säkulare Schulen einsetzte. Das Kantonsgericht hat die fristlose Kündigung inzwischen als ungerechtfertigt beurteilt.

Man dürfe die Walliser CVP nicht verwechseln mit der CVP, wie es sie im Rest der Schweiz gibt, sagt Abgottspon weiter: «Sie polemisiert gegen Nicht-Heterosexuelle und hat die Tendenz, die Kirche und die Religion in Schutz zu nehmen und hierbei nichts zu hinterfragen. Positiv ist, dass sie die absolute Macht verloren hat im Grossen Rat.» Allerdings gebe sich die SVP, an welche die CVP in den letzten Jahren viele Wähleranteile verloren hat, in diesem Kanton betont christlich-konservativ und schaffe es, noch fast katholischer als die CVP aufzutreten, so Abgottspon.

* * *

Am Abend dann fahre ich mit dem Postauto nach Gamsen, an den Wahlapéro der CVP des Bezirks Brig. Eine dreiköpfige Kapelle spielt Volksmusik. Die Herren in den weissen Hemden und den roten Gilets (mit Walliser Wappen drauf) sehen super aus und spielen hervorragend. Doch hätte ich sie nicht eher bei einem Anlass der SVP anzutreffen vermutet? Vielleicht spielen sie dort auch.

Gamsen, Wallis, 29. September 2015

Als ich um 19 Uhr pünktlich ankomme, ist die Industriehalle des halb-staatlichen und halb-privaten Stromversorgers Enbag (www.iischi-energie.ch) schon gut gefüllt, auch hier sind etwa 100 Personen anwesend. Sofort wird Weisswein und Rotwein ausgeschenkt und eifrig nachgeschenkt. Die meisten Besucher sind mit dem Auto da, und tatsächlich, um fahrtauglich wieder einzusteigen, wechseln viele ihr Getränk schon bald auf Wasser.

Gamsen, Wallis, 29. September 2015

Andreas Zenklusen (CVP), der durch den Anlass führt, erklärt mir gleich freiheraus, dass die CVP nichts zahlt für die Hallenmiete hier. Schliesslich profitiere doch auch die Enbag vom Anlass, das sei offensichtlich. Enbag-Verwaltungsratspräsident Renato Kronig darf dann auch zehn Minuten lang reden: «Es ist für uns eine Selbstverständlichkeit und eine Ehre, hier Gastrecht zu gewähren», sagt er. Und will dann vor der versammelten Politprominenz auch noch «ein paar Wünsche» äussern. Man müsse im Strommarkt europäisch integriert sein. Und die Bergkantone müssen zusammenstehen, um gegen den Druck auf den Wasserzins und auf die Preise der Wasserkraftwerke zu bestehen. «Ich wünsche euch viel Erfolg. Wenn ihr Erfolg habt, dann haben wir auch Erfolg.»

Gamsen, Wallis, 29. September 2015

Nach dem Anlass werden Hälften grosser Käselaiber angeschmolzen und auf Plastikteller geschabt. Ein herausragendes Raclette, serviert mit heissen Kartoffeln und Cornichons und Silberzwiebeln aus riesigen Gläsern beendet den Abend. Und überdeckt den Wein von vorher. Die Angst, den Führerausweis zu verlieren, regiert auch im Wallis.

Die Anlässe und Gespräche fanden am 28. und 29. September 2015 in Brig und Gamsen statt.

Oktober 8, 2015von Ronnie Grob
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Schweizer Wähler

Morges, 3. Oktober 2015, 10:15 Uhr

Morges, 3. Oktober 2015, 10:15 Uhr

«Ich kandidiere selbst für die Jungen Liberalen (Jeunes Libéraux-Radicaux Vaud) und werde also diese Liste einwerfen und mich selbst zweimal draufschreiben. In diesem Wahlkampf waren die Migrations- und die Energiepolitik wichtig. Für mich viel wichtiger ist aber, dass man das Individuum ins Zentrum stellt und nicht die Bürokraten in Bern. Der Staat will vermehrt jeden Bereich unseres Lebens bestimmen und der Einzelne merkt je länger je mehr, wie viele absurde Regeln es inzwischen gibt. Für Junge wird es beispielsweise immer komplizierter, einen Führerausweis zu erwerben. Links zu wählen, wäre für mich schwierig. Die Ziele dieser Parteien sind zwar anerkennenswert, aber ihre Lösungen sind falsch. Auch die SVP werde ich kaum wählen, denn Intellektuelle sind die SVP-Kandidaten hier in der Romandie nun wirklich nicht. Ich könnte mir vorstellen, jemanden wie Hans-Ueli Vogt (SVP) zu wählen, das ist ein guter Wirtschaftsliberaler.»

Oktober 8, 2015von Ronnie Grob
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Schweizer Wähler

Thun, 26. September 2015, 16:18 Uhr

Thun, 26. September 2015, 16:18 Uhr

«Wählen und Abstimmen gehört für mich zur Bürgerpflicht, ich gehe jedes Mal hin. Ich werde eine leere Liste verwenden und oben SVP hinschreiben. Ausfüllen werde ich sie mit Kandidaten der SVP, der FDP und vielleicht auch der EDU. Unseren Thuner Stadtpräsidenten, Raphael Lanz (SVP), werde ich zweimal auf die Liste schreiben. Ich wähle die SVP nicht explizit im Zusammenhang mit der momentanen Migrationsproblematik, sondern ich wähle die SVP, weil sie jenen Wertkonservatismus vertritt, der mir wichtig ist. Es geht mir um die Werte unseres christlichen Abendlands, das dank dem prägenden Gedankengut der Reformation zu dem werden konnte, was es heute in Teilen noch bewahrt. Nicht wählen würde ich Kandidaten der PNOS, diese Partei ist mir zu extrem.»

Oktober 7, 2015von Ronnie Grob
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Schweizer Wähler

Gamsen, 29. September 2015, 21:03 Uhr

Gamsen, 29. September 2015, 21:03 Uhr

«Ich wähle Liste 4, CVP. Das ist so eine gute Liste, dass ich nur kumulieren werde, nicht panaschieren; da hat es genügend gute Kandidaten drauf, die man wählen kann. Die Themen im Wahlkampf waren für mich die Energie- und die Asylpolitik. Wichtig ist aber auch die Solidarität zwischen den Berg- und den Mittelandgebieten. Die spielt nicht mehr so gut wie auch schon, da hatten wir einige negative Beispiele wie die Zweitwohnungsinitiative oder das Raumplanungsgesetz. Hier braucht es meiner Meinung nach mehr gegenseitige Solidarität. Eher wenig anfangen kann ich mit der SVP und der SP. Auch wenn sie ab und zu gute Ideen haben.»

Oktober 6, 2015von Ronnie Grob
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Interview

«Ich bin nicht der Typ, der jedem Reporter die Hand schütteln und sich nach seinem Wohlbefinden erkundigen muss»

Urs Schläfli (CVP) belegt im Sonntagsblick-Rating der «grössten Hinterbänkler» im Parlament den ersten Platz. Nomen est omen? Im Gespräch über Journalisten und Lobbyisten und über die Arbeitsbelastung eines Nationalrats stellt sich der Bauer aus Deitingen als gar nicht so langweilig heraus.

Artikel im Sonntagsblick vom 13. September 2015
Bild: Auschnitt des Artikels im Sonntagsblick vom 13. September 2015.

Herr Schläfli, ich habe jetzt eben dreissig Minuten lang erfolglos Solothurner dafür zu begeistern versucht, bei der Rubrik «Schweizer Wähler» mitzumachen. Sind Solothurner zurückhaltender als andere?
Das glaube ich nicht. Solothurn ist ein kleines, schönes Städtchen, eine typische Durchschnittsstadt in der Schweiz.

Sie sind aus Deitingen. Wie viele Einwohner hat Deitingen?
2000 Einwohner. Wir haben 20 Bauern, wovon die eine Hälfte voll erwerbstätig ist, die andere Hälfte den Betrieb im Nebenerwerb führt.

Sie bezeichnen sich als Meisterlandwirt. Wie viele Tage die Woche sind Sie Bauer?
Ich bewirtschafte einen viehfreien Betrieb mit Ackerbau. Im Winter beschäftigt mich das etwa einen Tag in der Woche, im Sommer ist es mehr. Bei Spitzenzeiten habe ich zum Glück auch ein paar Freunde im Dorf, die ich anrufen kann und die mir aushelfen.

Hat es im Parlament nicht schon genug Bauern? Ich war gestern im Wallis. Ein Politiker sagte mir, dass solange es in Bern mehr Bauern habe als Touristiker, das für ihn Motivation genug sei, zu kandidieren.
(Lacht) Ob es genügend Bauern hat oder nicht in Bern, ist schwierig zu beantworten. Man sagt immer, es sei die stärkste Lobby. Dabei gibt es einige Akademiker in Bern, die irgendwann mal eine bäuerliche Ausbildung gemacht haben. Die gelten oft als Bauern, vertreten jedoch gar nicht alle Bauerninteressen. Ich dagegen schon, das gebe ich auch gerne zu. Ich stehe ein für eine Bevölkerung mit wertkonservativer Haltung, für Bodenständigkeit.

Welche weiteren Interessen vertreten Sie? Wie jeder Parlamentarier können Sie zwei Badges vergeben. Sie ermöglichen den Zutritt Lobbyist Roman Weissen und Konrad Imbach, dem Geschäftsführer des Verbands GebäudeKlima Schweiz. Warum?
Konrad Imbach ist ein guter Kollege von mir, der auf der gleichen Liste kandidiert, das ist ein Freundschaftsdienst. Auf Roman Weissen kam ich über einen Kontakt bei der Partei, ich kannte ihn vorher nicht. Ich prüfte darauf hin, wer das ist und was der für eine Einstellung hat und kam dann zum Schluss, dass ich es absolut vertreten kann, dass er meinen Badge erhält.

Was haben Sie denn jetzt davon?
Nichts. Ich habe den beiden nichts versprochen und sie mir umgekehrt auch nicht.

Dann hätten sie die Badges doch auch einfach nicht vergeben können?
Ja, das wäre auch eine Variante gewesen. Inhaber von Badges sind jedoch auch immer Informationsquellen. Wenn ich Roman Weissen treffe, dann vorwiegend im Bundeshaus.

Wurde Ihnen etwas bezahlt für einen der Badges?
Nein, keinen Franken, ich würde dafür auch nie Geld nehmen. Die Gerüchte gehen zwar, dass es Gebote für diese Badges gibt in der Höhe von 10 000 Franken und mehr. Mich erreichte jedoch nur ein konkretes Angebot in der Höhe von 200 Franken, das ich natürlich abgelehnt habe. Im Wahlkampf gab es Angebote, Inserate in Verbandszeitungen für mich schalten zu lassen – im Gegenzug hätte ich mich dann aber verpflichten müssen, ihre Meinung in den nächsten vier Jahren zu vertreten. Auch das habe ich abgelehnt. Ich bin unabhängig, soweit ich das sein kann und bestreite auch meinen Wahlkampf vorwiegend aus eigenen Mitteln. Hinter mir steht kein finanziell potenter Industrieller oder so. Ich bin lediglich Vizepräsident des Solothurnischen Bauernverbands. Die drucken nun Flugblätter mit allen acht bäuerlichen Kandidaten des Kantons.

Ich habe gelesen, ihr Wahlkampf-Budget ist beschränkt. Wie hoch ist es denn?
Vor vier Jahren setzte ich rund 3000 Franken ein, heuer wohl etwa 4000 oder 5000 Franken. Hinzu kommt die Zeit für meine Arbeit und die von Freunden, die mir geholfen haben, zum Beispiel, um Wahlplakate aufzustellen. Dabei aktiv unterstützt wurde ich auch von der solothurnischen katholischen Bauernvereinigung, aber nicht finanziell.

Sie haben bisher erst fünf Tweets abgesetzt, unter anderem reagierten Sie auf eine Auswertung des Sonntags-Blicks, in der Sie als Nummer 1 der «grössten Hinterbänkler in Bern» hervorgingen.

Wer den Medien nicht nachrennt, dem rennen sie eben selbst nach. Doch so prominent im Sonntagsblick wie ich es heute bin ist selten einer!!

— Urs Schläfli (@SchlaefliUrs) September 13, 2015


Sie kommen im Text mit dem Zitat «ich renne den Medien nicht hinterher» vor. Wie ist ihre Beziehung zu den Medien?
Ich bin seit 2011 im Parlament und habe dann auch gleich die negativen Seiten der Medien kennengelernt. Die Journalisten schreiben halt, wie sie es wollen oder interpretieren, und das ist auch gut so. Aber als Politiker steht man dann schon öfters schräg in der Landschaft, weil Zitate nur teilweise zitiert werden oder von einer Geschichte nur ein Teil abgedruckt wird. Wenn ich Journalisten sah in der Wandelhalle, habe ich sie jeweils freundlich begrüsst. Aber der Typ, der jedem Reporter die Hand schütteln und sich nach seinem Wohlbefinden erkundigen muss, bin ich nicht.

Gibt es denn solche Nationalräte?
Ja, es gibt schon Parlamentarier, die Kontakte zu Journalisten eifrig pflegen. Mir liegt das nicht so. Ich pflege jene Kontakte, die ich gerne pflegen möchte. Aus heutiger Sicht muss ich jedoch sagen, dass ich die Bedeutung der Medien absolut unterschätzt habe. Man kann als Nationalrat die beste Arbeit abliefern, aber wenn niemand davon erfährt, ist es ohne Bedeutung. Den Kampf um Aufmerksamkeit kann man gut bei bedeutungslosen und chancenlosen Vorstössen von Parlamentariern beobachten – teilweise machen die Medien um diese ein riesiges Cabaret. Ich nehme mich davon auch nicht aus, denn ohne Vorstösse ist man als Parlamentarier nicht existent in den Medien. Den Umgang mit den Medien muss man als Parlamentarier lernen, mir hat das zu Beginn vielleicht etwas gefehlt. Ich war zuvor ja nur zwei Jahre im Kantonsrat und hatte dort wenig Umgang mit den Medien.

Macht nicht jeder Politiker heute ein Medientraining?
Ja, ganz zu Beginn war ich mal einen Tag lang in einem Medientraining.

Was lernt man denn dort?
Wie man richtig vor der Kamera steht zum Beispiel oder sich richtig ausdrückt. Es gibt aber wohl Politiker, denen die Medienarbeit leichter von der Hand geht und andere, die mehr Mühe damit haben. In den letzten beiden Sessionen habe ich nun vermehrt angefangen, selbst aktiv auf die Journalisten zuzugehen. Man muss denen halt eben auch ab und zu etwas stecken, wenn man nicht als «Hinterbänkler» abgestempelt werden will. Es funktioniert nicht, wenn man einfach nur wartet, abgeholt zu werden. Auf der anderen Seite will ich auch mich selbst bleiben können, ich bin ja kein Schauspieler.

Haben Sie denn mit den Lobbyisten mehr Kontakt als mit den Journalisten?
Mit ihnen habe ich immer wieder Kontakt, ich finde es spannend, mit denen zu diskutieren. Es ist ein Austausch der Argumentarien, den ich nicht als negativ betrachte, sondern als informativ, eine Bereicherung der Meinungsbildung durch persönliche Kontakte. Am Ende entscheide ich dann natürlich trotzdem selbst und unabhängig.

Nach vier Jahren im Bundeshaus: was ist anders, als sie erwartet hätten?
Der zeitliche Aufwand ist grösser als gedacht. Einem erfahrenen Juristen fällt es gerade zu Beginn natürlich leichter, sich in den Aufbau eines Gesetzes einzuarbeiten als einem juristisch nicht ausgebildeten Landwirt. Es mag sein, dass andere die anfallende Arbeit in einem 50-Prozent-Pensum meistern können. Bei mir geht es schon eher in Richtung 80 Prozent, wenn man alle Aufgaben dazuzählt. Es gibt heute kaum einen Tag, an dem ich nicht irgendwelche Unterlagen studiere. Ich habe die sogar schon mit zur Feldarbeit genommen.

Ist es möglich, neben dem Nationalratsmandat einen 100-Prozent-Job zu erledigen?
Ich wüsste nicht wie. Meine Arbeitszeiten auf dem Bauernhof sind der Fläche des bewirtschafteten Kulturlands angepasst und belaufen sich auf ein Pensum von 50 Prozent. Ich bin so ab und zu zeitlich am Limit, aber ich kann es leisten.

Was würden Sie im Parlamentsbetrieb ändern?
Für meinen Geschmack wird zu viel geredet. Reden im Nationalratssaal darf man ja nur zu jenen Geschäften, die man in der vorberatenden Kommission behandelt hat. Diese Regelung ist in Ordnung. Die Behandlung von Volksinitiativen dagegen gehört in die Kategorie 1, das heisst, hier darf jeder reden, wenn er will, maximal fünf Minuten lang. Und so reden dann jeweils 60, 70, 80 Nationalräte …

… weil sie endlich mal was sagen dürfen?
Ja, genau. Aber dann kommen doch nur immer wieder die gleichen Argumente. Man müsste da ehrlicherweise zugeben, dass längst alles gesagt ist, die Positionen der Parteien protokolliert. Doch die Möglichkeit zu einem Auftritt will man sich dann doch nicht entgehen lassen.

Es hört ja auch niemand zu. Wie ist das?
Zu Beginn störte mich das ungemein. Es ist eine Art Schaulaufen.

Und für wen eigentlich? Für die Medien? Geht es nicht nur darum, um mit einem Satz in der Hauptausgabe der «Tagesschau» zu landen?
Das haben Sie jetzt gesagt, ich habe es nur gedacht.

Wieso sind Sie überhaupt in der CVP?
Die christlichen Grundwerte sind mir schon wichtig, auch wenn ich nicht jeden Sonntag in die Kirche gehe. Ich bin aus einer CVP-Familie und fühlte mich von Anfang an wohl in der Partei, es ist eine Mittepartei. Die SVP ist mir bei den Themen Asyl- und Sozialpolitik zu radikal.

Wie schätzen Sie es ein: werden Sie wiedergewählt?
Vor zwei Monaten war ich fast überzeugt, dass es funktionieren könnte. In der Zwischenzeit bin ich mir nicht mehr so sicher. Denn dieses Sonntagsblick-Rating wurde in der massgeblichen Lokalzeitung, der Solothurner Zeitung, nun schon dreimal zitiert, dreimal wurde ich dort als «Hinterbänkler» bezeichnet. Eigentlich könnten die Journalisten doch einfach «der stille Schaffer» schreiben. Für mich zählt die seriöse Vorbereitung der Geschäfte mehr als die Medienaufmerksamkeit oder irgendwelche Ratings.

Das Gespräch mit Urs Schläfli wurde am 30. September 2015, um 14 Uhr, in Solothurn geführt.

Oktober 5, 2015von Ronnie Grob
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Hallo, mein Name ist Ronnie Grob. Seit 2007 arbeite ich als Journalist und Blogger. Ich bin verantwortlich für Nach Bern! – eine Website, die den Wahlkampf um die Schweizer Parlamentswahlen am 18. Oktober 2015 verfolgte. Details dazu HIER.

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