Heute morgen um 10:32 Uhr habe ich dieses E-Mail erhalten von den Parlamentsdiensten des Bundeshauses:
Sehr geehrter Herr Grob
Leider mussten wir Ihre Akkreditierung zum Parlamentsgebäude sperren und Sie haben ab sofort keinen Zutritt mehr.
Wir sehen uns zu diesem Schritt gezwungen, nachdem Sie die Verhaltensregeln für Medienschaffende im Gebäude (die mit der Bestätigung zugestellt wurden) in grober Art missachtet haben. Einerseits sind Fotoaufnahmen von der Presstribüne aus bewilligungspflichtig, andererseits ist ausdrücklich auf die Vertraulichkeit von Dokumenten auf den Pulten der Ratsmitglieder hingewiesen. Es geht in keiner Art und Weise an, dass Sie ohne Bewilligung fotografieren und sich mit Kenntnissen über Daten von Ratsmitgliedern – welche Sie auf den Pulten einsehen konnten – in aller Öffentlichkeit brüsten.
Mit freundlichen Grüssen
Mark Stucki
Bereichsleiter
Information
Parlamentsdienste, CH-3003 Bern
Der Absender des E-Mails, Mark Stucki, war vor seiner Tätigkeit bei den Parlamentsdiensten übrigens Journalist, unter anderem als Bundeshauskorrespondent für die Sendung «10 vor 10» des Schweizer Fernsehens.
Tatsächlich habe ich einen Punkt auf dem «Merkblatt für Medienschaffende im Parlamentsgebäude» nicht eingehalten:
Auf den Presse- und Zuschauertribünen sind Foto-, Film- und Tonaufnahmen bewilligungspflichtig.
Ich habe für zwei von mir gemachten und im Beitrag «Die Debatte im Nationalrat ist tot» veröffentlichten Fotos keine Bewilligung eingeholt. Und das ist tatsächlich nicht absichtlich geschehen. Denn eigentlich hatte ich gar nicht vor, von der Pressetribüne aus zu fotografieren und habe darum auch nur mein Mobiltelefon mitgenommen und keinen Fotoapparat. Aber nachdem neben mir verschiedene Fotografen mit riesigen Objektiven Fotos machten und auch Evi Allemann (SP) im Ratssaal fotografierte, dachte ich, das sei erlaubt und habe mich nicht mehr an die Formulierung im Merkblatt erinnert.
Gegen den zweiten im E-Mail angemahnten Punkt – ich würde mich mit «Kenntnissen über Daten von Ratsmitgliedern» brüsten – habe ich nicht verstossen. Festgehalten im Merkblatt ist lediglich:
«Es ist verboten, Aufnahmen von Akten und Schriftstücken zu machen.»
Das habe ich nicht gemacht. Auf den beiden Fotos, die ich im betreffenden Beitrag veröffentlicht habe, sind keinerlei Akten und Schriftstücke erkennbar. Wenn schon, sind eher im Facebook-Eintrag von Chantal Galladé (SP) persönliche Akten und Schriftstücke erkennbar. Und dass man Beobachtungen im Parlament aufschreibt, ist doch Sinn der Einrichtung einer Journalistentribüne, oder etwa nicht?
Persönlich empfinde ich den sofortigen Entzug meiner Akkreditierung als eine gar harte Massnahme. Wäre es nicht angezeigt gewesen, zunächst das Gespräch mit mir zu suchen und vielleicht eine Verwarnung auszusprechen? Mir stellt sich auch die Frage der Medienfreiheit. Ist das von den Parlamentsdiensten verfasste Merkblatt vielleicht schon an sich eine Einschränkung der Medienfreiheit?
Was meint ihr? Ist es in Ordnung, dass ich überhaupt nicht mehr ins Parlament eingelassen werde, nur weil ich zwei recht harmlose Fotos unserer Parlamentarier bei der Arbeit veröffentlicht habe, auf denen keinerlei Akten und Schriftstücke erkennbar sind?
Nachtrag, 14. September 2015, 17 Uhr: Nach einem klärenden Gespräch mit Mark Stucki wird mir die Akkreditierung für das Bundeshaus ab dem 15. September 2015 wieder erteilt.
Eine völlig übertriebene und unverhältnismässige Reaktion. Ich bin sprachlos.
Hallo Ronnie
Ich kenne deine Berichterstattung nicht, aber grundsätzlich meine ich, dass Journalisten und die Öffentlichkeit grosszügig Zugang ins Parlament gewährt werden sollte. Denn staatliches Handeln muss öffentlich sein. Oder umgekehrt formuliert meine ich, dass man Einschränkungen des Zugangs oder des Öffentlichkeitsprinzips nur ausnahmsweise und mit sehr sehr sehr guten Argumenten machen dürfte.
In diesem Sinne empfehle ich dir, die Zugangsbeschränkung des Herrn Stucki mittels Rekurs anzufechten und von übergeordneter Instanz, nötigenfalls auch gerichtlich beurteilen zu lassen.
Ich hoffe, dass du bald wieder freien Zutritt erhälst.
Viel Erfolg!
Klar, rechtlich anfechten *lachmichtot* bis dann sind die Wahlen längst vorbei.
Da schmeckt dem Parlament die eigene Medizin nicht. Bei der Revision des Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) war dieses Parlament der Meinung: Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.
Für mich krasse Fehlreaktion.
Sagen wir es vorsichtshalber so: Ich kenne einen Bundeshausjournalisten, der auf der Pressetribüne mit seinem iPad schon etliche Föteli geknipst und auch vertwittert hat. Er hat das Merkblatt bei der Akkreditierung gelesen und sogar jetzt bei der schikanösen Wiederakkreditierung für die neue Legislatur wiedergelesen, ist aber nie auf den Gedanken gekommen, beim Fötelimachen etwas Bewilligungspflichtiges, geschweige denn Verbotenes zu tun – weil es eben alle tun (zB um Abstimmungsergebnisse zu dokumentieren).
Es handelt sich also um eine Machtdemonstration der Bundeskanzlei, um einen eklatanten Verstoss gegen ein Heiligtum des Bundeshaus-Mainstreams: das Verhältnismässigkeitsprinzip. Das ruft nach einer Solidaritätsaktion der eingesessenen Bundeshausjournalisten: Wenn sie nichts für dich machen, sollen sie das schöne Wort „Solidarität“ aus ihrem Wortschatz streichen.
(Ich kann dir allerdings nur Support bieten, nicht als Initiant dienen – ich sollte, aus ähnlich nichtigem Anlass ein paar Wochen nach meiner Ankunft in Bern, aus der Vereinigung der Bundeshausjournalisten ausgeschlossen werden.)
Ich mag das Wort Föteli. 🙂
@Ronny
Geh dagegen vor. Zu mal es ja offensichtlich common sense ist, nicht genehmigte Bilder zu veröffentlichen.
Pfff. Wäre ja interessant zu wissen wer da Beschwerde eingereicht hat.
Was ist denn mit den ganzen Fotos die von den Parlamentariern auf facebook und twitter gepostet werden? Brauchen die dafür auch eine Genehmigung?
das hat mehr als nur ein geschmäckle. hier wurde ein unbequemer journalist kaltschnäuzig abserviert. unglaublich.
ich hoffe sehr, dass die bundeshausjournalisten und weitere einflussreiche leute sich für dich einsetzen werden.
ich werde eine protestnote an die parlamentsdienste schicken. kopie folgt.
Was bedeutet das für dein Projekt?
Nachbern.ch läuft wie geplant weiter, ich bin ja zum Glück nur meinen 101 Unterstützern verpflichtet. Aber es wurmt mich natürlich schon, dass ich vorerst keinen Zugang mehr habe zum Bundeshaus. Der Besuch der Asyldebatte heute war schliesslich schon fix eingeplant und konnte nun nicht wahrgenommen werden.
Scheint als passe es den Herren in Bern nicht, wenn jemand der nicht im Hintern irgendeines (Verlags-)Herrn steckt über die Geschehnisse im Bundeshaus berichtet.
Wunderbar demokratisch dieses Vorgehen. (Melde dich mit dieser Story doch mal bei RT. Die würden sich freuen ;-))
Unglaublich – kurz mal kritisch berichtet, schon ausgeschlossen. Ich erwarte jetzt von „meiner“ NZZ, dass sie a) darüber berichtet und sich b) für die Medienfreiheit einsetzt.
Ronnie – keep up the good work! Freue mich, dass ich Dich unterstützen darf!
PS. Haben sie Dir eigentlich eine rechtsmittelfähige Verfügung geschickt? 😉
Ich habe bisher nur ein E-Mail erhalten.
vielleicht einfach mal brav den Stucki mit kopie an seinen chef Philippe Schwab bitten, dir den Zugang umgehend wieder freizuschalten, oder dir andernfalls ebenso umgehend eine beschwerdefähige verfügung mit konkreter begründung zuzustellen.
so oder so würde ich aber relativ zügig vorsorglich bereits beschwerde einreichen (bei der Verwaltungsdelegation für die Geschäftsführung der Parlamentsdienste), mit dem antrag, die sperre sei aufzuheben, und allenfalls mit hinweis, dass du noch um eine beschwerdefähige verfügung gebeten hast.
Die NZZ wird höchstens am Rande darüber berichten und sich sicher nicht für Ronnie Grob einsetzen. Die Gefahr, dass das ein paar Parlamentarier übel nehmen könnten ist zu gross. Man will sich es mit denen nicht verspielen, nur wegen eines unbequemen Bloggers.
Die haben doch den Gagg in der Hose. Ein Rekurs ist das Mindeste. Solche Willkür gehört beschäftigt!
Der Ausschluss ist meiner Meinung nach völlig unverhältnismässig und ein Eingriff in die Pressefreiheit. Ich würde zuerst das Gespräch mit Herrn Stucki suchen, und wenn das nichts bringt, alle rechtlichen Wege nutzen und gleichzeitig die Öffentlichkeit aktivieren.
Das Parlament ist kein privater Business-Debattierclub , obwohl es manchmal so scheint, der sich freihändig eine „Hausordnung“ geben kann, die übergeordnetes Recht ignoriert (Pressefreiheit). Ein Ausschluss akkreditieter Journalisten ist eine schwerwiegende Massnahme, die nicht einmal das Parlament in eigener Machtvollkommenheit ohne ausreichende Begründung verfügen könnte, und schon gar nicht eine Parlamentsverwaltung. Sofort den Rechtsweg einschlagen.
Sind das „unsere Vertreter“ in Bern? Was haben sie zu verstecken? Nehmen wir das nun einfach so (nach ein paar Blogartikeln und Tweets) hin? Meinungsfreiheit, wohin des Weges? Mich schockiert, sowas in der Schweiz zu erleben. Können einzelne Parlamentarier in Echt solchen Druck ausüben, und erfolgreich unbequeme Kritiker (von welcher Seite auch immer) loswerden?
Mich erinnert das Vorgehen an die Affekthandlung meines vier Jahre alten Sohnes – der mich aus dem Kinderzimmer sperrt, nachdem ich ihn gemassregelt habe.
Warum geht schlechten Nachrichten oft ein „Leider…“ voran?
Alles Gute Dir und Deinen Ideen,
Martin