«Politik isch ernst, aber hüt näme mer’s e chli easy!»

Textzeile aus dem SVP-Wahlsong «Welcome to SVP»

Man könnte annehmen, es sei lesenswert, wie einer der wichtigsten Politikjournalisten des Landes, «Rundschau»-Anchor Sandro Brotz, den Wahlkampf der Schweizerischen Volkspartei (SVP) sieht:

Ich glaube, er liegt total falsch und es ist andersrum. Die SVP dominiert den Wahlkampf bisher nach Belieben. Führungslos? Sind eher die anderen Parteien. Die Probleme der EU? Nützen der SVP direkt.

Begründet ist die SVP-Dominanz im Wahlkampf einerseits mit den aktuell im Brennpunkt stehenden Völkerwanderungen durch Europa. Und andererseits mit einer Strategie, die bisher voll aufgeht. Das Thema «Migration», das die Wähler wie kein anderes bewegt und über das viele der anderen Parteien lieber nicht sprechen wollten, ist das bisher einzige grosse Thema des Wahlkampfs. Haben die anderen Parteien eigentlich auch schon grosse Themen lanciert? Wenn ja, welche?

Eine Zäsur

Wer den SVP-Wahlkampf 2015 analysiert, dem muss doch auffallen, dass es sich um eine eigentliche Zäsur handelt. Das erste Mal seit über 20 Jahren sucht die SVP die Aufmerksamkeit nicht mit ästhetisch und ethisch fragwürdigen Plakaten. 2015 gibt es keine Hände, die nach Schweizer Pässen greifen. Keine Ratten, die Geldbörsen anknabbern. Keine Raben, die auf der Schweiz rumhacken. Keine «Verbrecher», die mit Pistolen auf die Bürger zielen. Keine Dunkelmänner, welche die Schweizer Flagge zerreissen. Keine weissen Schafe, die schwarze Schafe aus dem Land kicken. Keine auf Schweizer Terrain eintretende schwarze Schuhe. Die Geschichte der SVP-Plakate seit 1994 hat René Zeller letzten Freitag in einem NZZ-Artikel aufgerollt:

«Läuse, Mäuse, Reitstiefel, gefrässige Raben, gerupfte Hühner, gierige Krummfinger, Kriminelle, schwarze Schafe: Die SVP-Sujets, die konsequent auf die Schmerzgrenze – und zumeist unter die landläufig definierte Gürtellinie – zielten, existieren inzwischen in grosser Zahl. Fast immer folgte die Empörung auf dem Fuss. Und immer lachte sich die SVP ins Fäustchen, wenn sie erneut die Lufthoheit über den Stammtischen errungen hatte.»

Harmlos-biederes Auftreten

2015 spielt sich etwas Neues ab: Der Wahlkampf der SVP ist bisher harmlos, freundlich, bieder, selbstironisch, sogar ein bisschen witzig. Dank tatkräftiger Mithilfe der Medien sind beim Bürger vor allem zwei von der Partei produzierte Musikvideos angekommen: «Wo e Willy isch, isch ou e Wäg» (von Willy Vogel, über 170’000 Abrufe nach zweieinhalb Monaten) und «Welcome to SVP» (von DJ Tommy alias Nationalrat Thomas Matter, über 180’000 Abrufe nach vier Tagen). Die Plakate und Inserate reihen sich dieses Jahr in den Durchschnitt ein, sind vom Stil her nicht extremer als die der anderen Parteien.

Seit dem Aufstieg der SVP zur grössten Partei der Schweiz wird sie – durchaus zu Recht – für ihren schlechten Stil kritisiert. Wird sie jetzt, wo sie bemüht ist, auf den schlechten Stil zu verzichten, dafür gelobt? Ich habe bisher keine solchen Texte gelesen (Hinweise darauf sind willkommen). Und das muss heissen, dass die Journalisten der Partei zutrauen, dass sie im letzten Monat vor der Wahl alles umkrempelt und den Holzhammer auspackt. Oder aber, dass es die Journalisten einfach unterlassen, die SVP zu loben und es aktiv ignorieren, dass die Partei endlich ändert, was die Journalisten nun schon seit zwei Jahrzehnten kritisieren. Ob es sich dabei um ein temporäres Experiment handelt oder um eine dauerhafte Wandlung, bleibt abzuwarten.

Verwirrte Journalisten

Die Abkehr von den Negativ-Plakaten und -Inseraten nimmt den Journalisten, aber auch den SVP-Gegnern eine Projektion. Eine SVP ohne schlechten Stil kann man immer noch kritisieren (es gibt gute Gründe dafür) – es ist einfach nicht mehr ganz so simpel. Dass die Klagen über den schlechten Stil nahtlos von den Klagen über einen angeblichen «Gaga-Wahlkampf» abgelöst werden, hat etwas Heiteres. Denn kümmert es, wer mit der SVP nichts am Hut hat, tatsächlich, wenn sie mit ihrem seichten Willy-Song in der Versenkung verschwindet?

Allerdings haben sogar die Journalisten der «Basler Zeitung», die zu einem Drittel SVP-Übervater Christoph Blocher gehört, noch nicht verstanden, was sich abspielt: «Der versuchte Rollenwechsel irritiert. Was bezweckt die SVP damit?», fragen Hansjörg Müller und Samuel Tanner. Dabei ist die Analyse gar nicht so schwierig: Die ländliche, nicht-akademische, zuwanderungskritische Bevölkerung wählt so oder so SVP – andere Parteien bieten dieser Klientel kaum eine Alternative. 2015 geht es für die SVP vor allem darum, Personen zu gewinnen, die sie nicht sowieso wählen und auch 2011 schon gewählt haben. Sie macht sich deswegen schön für bürgerlich denkende Wähler, denen die Mitteparteien und die FDP zu profillos sind. Erreichen will sie das, indem sie urbane, akademische, intellektuelle Kandidaten wie Albert Rösti, Thomas Aeschi, Hans-Ueli Vogt oder Roger Köppel aufstellt und in den Vordergrund rückt.

Genau hinschauen

Viele empfinden natürlich auch den aktuellen SVP-Wahlkampf als überhaupt nicht harmlos und halten die Verwendung von Wörtern wie «Scheinflüchtlinge» oder «Scheinasylanten» (zum Beispiel im Parteiprogramm 2015-2019) für skandalträchtig. Ebenso selbstverständlich wird sich auch immer wieder irgendein SVP-Hinterbänkler politisch inkorrekt verhalten und so den Medien einen Anlass zur Berichterstattung geben. Die SVP ist eine grosse Partei, die sich fest vorgenommen hat, alle demokratisch und rechtsstaatlich gesinnten Kräfte am rechten Rand aufzusammeln. Dass Mitglieder in Einzelfällen aus der an sich demokratischen und rechtsstaatlichen Linie der Partei ausscheren, wird auch weiterhin vorkommen. Daran wird auch nichts ändern, dass die SVP offen radikal auftretende Mitglieder in den letzten Jahren konsequent ausgeschlossen hat.

Der Wähler darf sich jedoch nichts vormachen. Die Wahlkampfstrategie der SVP heisst 2015 «Im Stil lustig und freundlich, in der Sache aber knallhart». Wer diese Partei wählt, wählt ganz konkret mehr Härte, auf den verschiedensten Ebenen. Er sollte genau hinschauen, für welche Positionen, Kandidaten und Massnahmen er seine Stimme einlegt. Irgendwie «für die Schweiz» zu sein, ist kein ausreichender Grund, SVP zu wählen, denn bekanntermassen bleibt ein Wolf auch dann ein Wolf, wenn er den Schafspelz überstreift. Als grösste Partei verdient die SVP eine genaue Beobachtung, gerade von den Journalisten. Vielleicht kann das sachlichere Auftreten der SVP es nun endlich ermöglichen, dass sich die Journalisten verabschieden von der allzu emotionalen Beziehung, die sie in den letzten Jahren zu dieser Partei pflegten.

Eine zu starke SVP, die alleine definiert, was «schweizerisch» ist und was nicht, könnte für den Rechtsstaat und die Minderheiten gefährlich werden. Aber damit es soweit kommt, müsste sie schon wie die bayerische CSU über 50 Prozent der Stimmen holen. Und auch dann legt die Direkte Demokratie der Schweiz die jeweiligen Machthaber in ein recht enges Korsett. Die von den anderen politischen Kräften verbreitete Panik vor der SVP ist also nicht angezeigt.

Bild: Pressefoto welcometosvp.ch

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