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Schweizer Wahlkampf 2015
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Schweizer Wahlkampf 2015
Schweizer Wähler

Regensdorf, 13. September 2015, 11:20 Uhr

Regensdorf, 13. September 2015, 11:20 Uhr

«Um meine Schwester, die kandidiert, zu unterstützen, werde ich vermutlich die Liste der Jungen SVP auswählen – oder sonst halt die Liste der SVP. Ich bin zwar kein SVP-Mitglied, aber viele aus meiner Familie sind bei der Partei dabei, und eigentlich vertritt die SVP auch einen Grossteil meiner Interessen. Bei Volksabstimmungen stimme ich aber je nach Thema auch mal anders, als es die SVP vorschlägt. Ich arbeite als Zimmermann und komme von der Zürcher Goldküste. Und dort haben Bank- oder Büroberufe heute leider einen viel besseren Ruf als Handwerksberufe. Ich finde, wir sollten eher das Handwerk wieder mehr schätzen lernen, anstatt immer noch mehr ausländische Arbeitskräfte ins Land zu holen.»

September 19, 2015von Ronnie Grob
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Wahlveranstaltung

Ständerat Hans Stöckli besucht die SP Zollikofen

Es ist Montag, der 14. September 2015. Im Ständerat anberaumt sind die Differenzen zum Nachrichtendienstgesetz und die Reform der Altersvorsorge 2020. Die Sitzung beginnt um 15:15 Uhr und endet um 20 Uhr. Der Berner Ständerat Hans Stöckli (SP) redet zur Reform der Altersvorsorge und dankt Bundesrat Alain Berset (SP) «und seiner Mannschaft»:

«Sie haben uns ein Generationenwerk vorgelegt, das auch sturmresistent ist. Sie haben die wichtigen Pfeiler richtig eingeschlagen. Die Vorlage ist umfassend, die Zahlen stimmen. Sie haben die Transparenz verbessert. Sie haben aus den Fehlern der Vergangenheit die richtigen Schlüsse gezogen. Sie sind sich bewusst, dass die Mehrheit des Volkes in dieser Frage eben eine Mitte-links-Meinung hat.»

Ich finde die um 20:30 Uhr beginnende Wahlveranstaltung der Sozialdemokratischen Partei Zollikofen auf der Website Hansstoeckli.ch. Die Veranstaltung mit rund 20 Besuchern im oberen Stock des Restaurant Kreuz in Zollikofen ist sein zweiter Termin an diesem Abend. Um 18:30 Uhr redete Stöckli bereits im Club Catena zu den «Herausforderungen im Bundeshaus gestern, heute und morgen».

Hans wieder ins Stöckli

Unter dem Motto «Hans ins Stöckli» wurde Hans Stöckli 2011 in den (umgangssprachlich als «Stöckli» benannten) Ständerat gewählt. 2015 kandidiert der 63-Jährige erneut, und wie lautet sein Motto? «Hans wieder ins Stöckli». Als Wahlkampf-Goodie auf dem Tisch liegt ein auf beiden Seiten angespitzter Bleistift. Für was man den wohl brauchen kann? Zum Beispiel, um dieses Tischset auszumalen, das bis vor Kurzem auf der Website zum Download verfügbar war:

Hans-Stoeckli-Tischset

Stöckli wirbt auch mit Postkarten für sich:

postkarte_hans_stoeckli_df_2015

Ich werde freundlich begrüsst in der SP Zollikofen, überhaupt machen die Leute hier einen sympathischen Eindruck. Alle sind sie per Du miteinander, gekommen sind auch einige Grüne. Das Durchschnittsalter ist in etwa das Durchschnittsalter heutiger Fernsehzuschauer, jünger als 40 sind geschätzt nur zwei oder drei Personen. Die Präsidentin der SP Zollikofen, Petra Spichiger, berichtet aus der Zollikofener Lokalpolitik, über den Bau des Kindergartens und zur Soldanpassung der Feuerwehr. Für die Bildungskommission und auch für den Vorstand werden Leute gesucht, und zwar «engagierte», keine «dekorativen».

Der Schweizer Zeitplan ist wie immer beeindruckend. Präsidentin Spichiger beginnt die Veranstaltung um 20:15 Uhr und um 20:28 Uhr entschuldigt sie sich, dass sie zwei Minuten zu wenig lang geredet habe: sie sei halt nicht von Bern. Ein anderer fügt hinzu, Hans habe zugesagt, um 20:30 Uhr zu kommen. Hans kommt dann um 20:45 Uhr. Er hat ein graues Hemd und eine rote Krawatte an, und begrüsst alle Anwesenden per Handschlag. Spichiger freut sich sehr, dass er da ist: «Hans hatte vier erfolgreiche Jahre im Stöckli».

Überraschend erfolgreich

Und tatsächlich, wenn Stöckli über seine Erfolge der letzten vier Jahre spricht, schwingt so etwas wie Überraschung mit, dass er so viel umsetzen konnte. Bei der Altersvorsorge-Reform 2020 zum Beispiel habe doch zu Beginn der Diskussionen niemand daran gedacht, dass eine Sicherstellung, gar ein kleiner Ausbau möglich sei – dank dem Schulterschluss Mitte-Links habe das aber nun geklappt. Oder die Energiewende: Es gebe zwar Kreise, welche diese rückgängig machen wollen, aber er glaubt nicht, dass das eine Chance habe. Der Entscheid, aus der Atomkraft auszusteigen, sei ein Highlight: «Das müssen wir durchziehen!» Sogar zum Bundesrat gibt’s lobende Worte. Die Zusammenarbeit funktioniere ja im Moment gut, nur dieser Maurer störe ab und zu.

Seine launige und nicht mal langweilige Rede beginnt Stöckli mit einem Scherz, der beim Publikum gut ankommt, weil er wie jeder gute Scherz auch ein Stück Wahrheit beinhaltet: «Ich war an jeder Sitzung des Ständerats – und immer pünktlich. Das hat einen einfachen Grund: Wir machen jeden Morgen Appell. Und wenn man da nicht dabei ist, dann gibt’s kein Geld.» 129 Mal hat er geredet im Ständerat, 127 Mal war er an einer Sitzung. 16 Vorstösse hat er eingereicht, 23 Gesetzesartikel mitformuliert. «Im Nationalrat herrscht ein Lärmpegel wie an der Autobahn. Im Ständerat aber musst du verdammt aufpassen, was du sagst, weil man dir nämlich zuhört.» Bei den Tiefpunkten der letzten vier Jahre macht er es sich einfach. Er zählt einfach drei Aktionen der SVP auf: Die Forderung nach einem Moratorium für Flüchtlinge, die Ausschaffungsinitiative, die Völkerrechtsinitiatitve. Doch schlecht kommt das bei diesem Publikum nicht an, es werden jedenfalls keine kritischen Nachfragen gestellt.

Finanzausgleich

Bern – der Stand, den Stöckli vertreten hat die letzten vier Jahre – wurde 2015 im Finanzausgleich der Kantone mit dem Betrag von 1’233’416’000 Franken entlastet – und erhält damit mit Abstand am meisten Geld, so viel wie kein anderer Kanton. Wird Stöckli von den Medien darauf angesprochen, sagt er jeweils: «Ich würde auch lieber geben als nehmen. Aber wir können nicht!». Als der «faule Bär» zu gelten, daran hat er sich gewöhnt. Er gibt jedoch zu bedenken, was wäre, wenn damals, 1848, nicht Bern, sondern Zürich zur Hauptstadt erkoren worden wäre. Und wenn der Flughafen nicht in Kloten stehen würde, sondern in einem Vorort von Bern. Ausserdem fliesse der NFA-Betrag (Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung), der Bern erhalte, gleich wieder in die Finanzierung der ETH (Eidgenössische Technische Hochschule Zürich). Das stimmt insoweit, als dass es sich um einen Beitrag in etwa gleicher Höhe handelt. Im Jahr 2013 weist der Jahresbericht der ETH einen Finanzierungsbeitrag des Bundes in der Höhe von 1’146’761’000 Franken aus. Wahr ist also: Der Kanton Bern erhält pro Jahr so viel Geld von den anderen Kantonen, wie die ETH pro Jahr vom Bund erhält.

Hat mich Hans Stöckli überzeugt? Eigentlich ja. Auf mich wirkt er nicht wie ein Showman, der den Schein vor das Sein stellt, sondern wie ein besonnener Sachpolitiker, dem es wichtig ist, was am Ende herauskommt. Das NZZ-Rating der Ständeräte weist die Abstimmungsentscheide von Stöckli mit einem Linksdrall von 2,2 Punkten als moderaten Sozialdemokraten aus. Als Sohn einer alleinerziehenden Verkäuferin ist er zudem einer der wenigen Sozialdemokraten, der die traditionelle Sozialdemokratie verkörpert und für die Arbeiterschaft – die ursprüngliche, aber längst abgewanderte Wählerschicht der Sozialdemokraten – glaubwürdig und wählbar ist. Ich würde ihn aber trotzdem nicht wählen. Denn das, was der Kanton Bern (Nettoverschuldung Ende 2014: 4’007’000’000 Franken) dringend nötig hat, nämlich eisernes Sparen, also rigorose Kostenkontrolle und Abbau von Leistungen, wird Stöckli nicht vertreten. Sondern das Gegenteil: Staatsausbau auf Kosten des Steuerzahlers. Auch nach den Wahlen wird Stöckli vor allem Gesetze beschliessen wollen, die noch mehr Steuergelder verbrauchen. Zum Beispiel für den von ihm mitinitiierten und vorangetriebenen Innovationspark Biel («Haben wir vor acht Jahren angefangen, aber wir brauchen noch etwas Geld.»)

Um 21:54 Uhr ist die Veranstaltung zu Ende, und Stöckli erhält ein Geschenk. Und ich bleibe dann gerne noch auf ein Glas Wein mit drei Sozialdemokraten. Denn dass Wahlveranstaltungen so nett sein können, hätte ich gar nicht erwartet. Mir wird empfohlen, mal einen SP-Küchentisch-Jass zu besuchen. Schade, dass der nächste Termin offenbar erst nach den Wahlen stattfindet. Da wäre ich gerne dabeigewesen.

Ständerat Hans Stöckli wägt ab

Posted by Küchentisch-Jass on Sonntag, 13. September 2015

September 18, 2015von Ronnie Grob
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Schweizer Wähler

Aarau, 13. September 2015, 19:54 Uhr

Aarau, 13. September 2015, 19:54 Uhr

«Ich habe die Fragen bei Smartvote.ch ausgefüllt und mir wurde dann die Liste 14, Integrale Politik Aargau, empfohlen. Ich werde die mir mal ansehen, aber wahrscheinlich werde ich SP oder Grüne wählen. In den letzten Jahren habe ich jeweils die SP-Liste ausgewählt und mit einigen Grünen aufgefüllt. Dass eine Mehrheit die Masseneinwanderungsinitiative angenommen hat, finde ich nicht gut. Ich bin zudem dafür, dass Flüchtlinge aufgenommen werden und dass sie bleiben können, bis es wieder sicher ist in ihrem Ursprungsland. Wir sollten ihnen auch mit finanziellen Mitteln helfen, zurückzukehren. Weiter ist mir wichtig, dass Kinderkrippen und Teilzeit-Stellen geschaffen werden, so dass Familien ihr Leben leichter einrichten können. In Aarau ist die Situation gut, hier gibt es subventionierte Krippen. Nie wählen würde ich die SVP und die Junge SVP: Mir gefällt die Art und Weise nicht, wie diese Partei Politik betreibt: plakativ, aggressiv, schwarz-weiss-denkend. Im Wahlkampf 2015 tritt sie etwas zurückhaltender auf, ja. Aber das hat wohl damit zu tun, dass sie verstanden hat, wie viele Leute Solidarität mit den Asylsuchenden empfinden und dass es im Moment relativ unklug wäre, Flüchtlinge schlecht zu machen. Und das nervt ja nun auch wieder.»

September 18, 2015von Ronnie Grob
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Schweizer Wähler

Bern, 9. September 2015, 17:32 Uhr

Bern, 9. September 2015, 17:32 Uhr

«Ich werde per Brief wählen, ich war noch nie an der Urne. Das im Wahlkampf von den Medien hauptsächlich behandelte Thema, die Asylpolitik, ist nicht so ausschlaggebend für mich. Ich wähle stark personenbezogen: Authentische Kandidaten, die auch leben, was sie erzählen, haben bei mir gute Chancen. Wahrscheinlich wähle ich eine Liste aus und streiche dann Leute heraus und ersetze sie mit anderen Leuten. Konkret kommt dann meistens ein Mix zwischen links und rechts heraus, aber ohne die Extreme. Also wahrscheinlich nehme ich die SP-Liste und ergänze sie mit FDP-Leuten. Oder ich nehme die FDP-Liste und ergänze sie mit SP-Leuten. Als Unternehmer wünsche ich mir wenig Bürokratie, aber auch einen guten öffentlichen Ausbau – die Schweiz sollte sich leisten, was sie sich leisten kann. Ich bin ein liberaler Mensch, der sich einen starken Sozialstaat wünscht. Und als Familie mit Kindern ist man sowieso eher links, weil man als Familie finanziell einfach brennt in der Schweiz. Man bezahlt zwar wenig Steuern, aber das Leben ist teuer, sehr teuer.»

September 17, 2015von Ronnie Grob
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Schweizer Wähler

Zollikofen, 14. September 2015, 20:35 Uhr

Zollikofen, 14. September 2015, 20:35 Uhr

«Selbstverständlich gehe ich wählen, das ist meine Pflicht. Ich werde ganz parteitreu die SP des Kantons Bern wählen und höchstens mal jemanden rausstreichen beziehungsweise doppelt hinschreiben. Der Wahlkampf wird ja im Moment dominiert von der ganzen Flüchtlingssituation; das sind menschliche Schicksale, die bis hier in die Gemeinde hinein spürbar sind. Ich finde, wir sollten den Mensch ins Zentrum zu stellen und neben den Finanzen nicht die Menschlichkeit vergessen. Die Sozialpolitik, die Politik für Leute, die eben nicht eine Stimme haben wie beispielsweise ein Wirtschaftsverband, ist mir ein grosses Anliegen. Wir können zwar nicht alle Probleme lösen, aber wir können die Leute, die hierher kommen, menschlich behandeln. Also alle nach den gleichen Spielregeln bewerten und dann jenen Asyl gewähren, die nach unseren Gesetzen den Anspruch haben, hier zu bleiben. Und die sollten hier als unsere Mitmenschen leben sollen, und zwar ohne dass man sie plakativ mit Vorurteilen wie ‹Ausländer gleich kriminell› oder ähnlichem abstempelt.»

September 16, 2015von Ronnie Grob
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Schweizer Wähler

Bachs, 12. September 2015, 13:19 Uhr

Bachs, 12. September 2015, 13:19 Uhr

«Ich wähle immer die Gleichen! Auch dieses Jahr werde ich die Liste 1 (SVP) unverändert einlegen. Ich bringe es nicht fertig, jemanden rauszustreichen, so dass der eine Stimme weniger hat – das finde ich nicht schön. Die FDP wähle ich nicht, weil dort einige die Bilateralen erweitern und noch mehr Personenfreizügigkeit zulassen wollen, obwohl wir jetzt schon fast im Elend sind. Ich habe Herrn Bigler [Anmerkung: gemeint ist Hans-Ulrich Bigler, Direktor Schweizerischer Gewerbeverband] gesagt, dass er seine Leute doch auf ein normales Niveau führen soll. Denn die FDP muss auch wieder richtig bürgerlich sein! Wenn die mit den Linken, den Kommunisten und den Alternativen zusammenarbeiten, dann kann man das nicht mehr bürgerlich nennen. Mir ist es am Wohlsten bei der SVP. Es ist schön hier: Die Musikunterhaltung ist gut, man ist sofort per Du, und man wird auch von Leuten, die man gar nicht kennt, nett begrüsst. Ich glaube, keine andere Partei ist so volkstümlich und aufgeschlossen.»

September 15, 2015von Ronnie Grob
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Analyse

Der Wahlkampf der SVP 2015:
Im Stil freundlich, in der Sache hart

«Politik isch ernst, aber hüt näme mer’s e chli easy!»

Textzeile aus dem SVP-Wahlsong «Welcome to SVP»

Man könnte annehmen, es sei lesenswert, wie einer der wichtigsten Politikjournalisten des Landes, «Rundschau»-Anchor Sandro Brotz, den Wahlkampf der Schweizerischen Volkspartei (SVP) sieht:

EU ächzt, Dublin ausgehebelt, Schengen wackelt – und die SVP hat lustige Videos, glatte Ideen, feiert Marignano. Führungslos? #GagaWahlkampf

— Sandro Brotz (@SandroBrotz) September 13, 2015

Ich glaube, er liegt total falsch und es ist andersrum. Die SVP dominiert den Wahlkampf bisher nach Belieben. Führungslos? Sind eher die anderen Parteien. Die Probleme der EU? Nützen der SVP direkt.

Begründet ist die SVP-Dominanz im Wahlkampf einerseits mit den aktuell im Brennpunkt stehenden Völkerwanderungen durch Europa. Und andererseits mit einer Strategie, die bisher voll aufgeht. Das Thema «Migration», das die Wähler wie kein anderes bewegt und über das viele der anderen Parteien lieber nicht sprechen wollten, ist das bisher einzige grosse Thema des Wahlkampfs. Haben die anderen Parteien eigentlich auch schon grosse Themen lanciert? Wenn ja, welche?

Eine Zäsur

Wer den SVP-Wahlkampf 2015 analysiert, dem muss doch auffallen, dass es sich um eine eigentliche Zäsur handelt. Das erste Mal seit über 20 Jahren sucht die SVP die Aufmerksamkeit nicht mit ästhetisch und ethisch fragwürdigen Plakaten. 2015 gibt es keine Hände, die nach Schweizer Pässen greifen. Keine Ratten, die Geldbörsen anknabbern. Keine Raben, die auf der Schweiz rumhacken. Keine «Verbrecher», die mit Pistolen auf die Bürger zielen. Keine Dunkelmänner, welche die Schweizer Flagge zerreissen. Keine weissen Schafe, die schwarze Schafe aus dem Land kicken. Keine auf Schweizer Terrain eintretende schwarze Schuhe. Die Geschichte der SVP-Plakate seit 1994 hat René Zeller letzten Freitag in einem NZZ-Artikel aufgerollt:

«Läuse, Mäuse, Reitstiefel, gefrässige Raben, gerupfte Hühner, gierige Krummfinger, Kriminelle, schwarze Schafe: Die SVP-Sujets, die konsequent auf die Schmerzgrenze – und zumeist unter die landläufig definierte Gürtellinie – zielten, existieren inzwischen in grosser Zahl. Fast immer folgte die Empörung auf dem Fuss. Und immer lachte sich die SVP ins Fäustchen, wenn sie erneut die Lufthoheit über den Stammtischen errungen hatte.»

Harmlos-biederes Auftreten

2015 spielt sich etwas Neues ab: Der Wahlkampf der SVP ist bisher harmlos, freundlich, bieder, selbstironisch, sogar ein bisschen witzig. Dank tatkräftiger Mithilfe der Medien sind beim Bürger vor allem zwei von der Partei produzierte Musikvideos angekommen: «Wo e Willy isch, isch ou e Wäg» (von Willy Vogel, über 170’000 Abrufe nach zweieinhalb Monaten) und «Welcome to SVP» (von DJ Tommy alias Nationalrat Thomas Matter, über 180’000 Abrufe nach vier Tagen). Die Plakate und Inserate reihen sich dieses Jahr in den Durchschnitt ein, sind vom Stil her nicht extremer als die der anderen Parteien.

Seit dem Aufstieg der SVP zur grössten Partei der Schweiz wird sie – durchaus zu Recht – für ihren schlechten Stil kritisiert. Wird sie jetzt, wo sie bemüht ist, auf den schlechten Stil zu verzichten, dafür gelobt? Ich habe bisher keine solchen Texte gelesen (Hinweise darauf sind willkommen). Und das muss heissen, dass die Journalisten der Partei zutrauen, dass sie im letzten Monat vor der Wahl alles umkrempelt und den Holzhammer auspackt. Oder aber, dass es die Journalisten einfach unterlassen, die SVP zu loben und es aktiv ignorieren, dass die Partei endlich ändert, was die Journalisten nun schon seit zwei Jahrzehnten kritisieren. Ob es sich dabei um ein temporäres Experiment handelt oder um eine dauerhafte Wandlung, bleibt abzuwarten.

Verwirrte Journalisten

Die Abkehr von den Negativ-Plakaten und -Inseraten nimmt den Journalisten, aber auch den SVP-Gegnern eine Projektion. Eine SVP ohne schlechten Stil kann man immer noch kritisieren (es gibt gute Gründe dafür) – es ist einfach nicht mehr ganz so simpel. Dass die Klagen über den schlechten Stil nahtlos von den Klagen über einen angeblichen «Gaga-Wahlkampf» abgelöst werden, hat etwas Heiteres. Denn kümmert es, wer mit der SVP nichts am Hut hat, tatsächlich, wenn sie mit ihrem seichten Willy-Song in der Versenkung verschwindet?

Allerdings haben sogar die Journalisten der «Basler Zeitung», die zu einem Drittel SVP-Übervater Christoph Blocher gehört, noch nicht verstanden, was sich abspielt: «Der versuchte Rollenwechsel irritiert. Was bezweckt die SVP damit?», fragen Hansjörg Müller und Samuel Tanner. Dabei ist die Analyse gar nicht so schwierig: Die ländliche, nicht-akademische, zuwanderungskritische Bevölkerung wählt so oder so SVP – andere Parteien bieten dieser Klientel kaum eine Alternative. 2015 geht es für die SVP vor allem darum, Personen zu gewinnen, die sie nicht sowieso wählen und auch 2011 schon gewählt haben. Sie macht sich deswegen schön für bürgerlich denkende Wähler, denen die Mitteparteien und die FDP zu profillos sind. Erreichen will sie das, indem sie urbane, akademische, intellektuelle Kandidaten wie Albert Rösti, Thomas Aeschi, Hans-Ueli Vogt oder Roger Köppel aufstellt und in den Vordergrund rückt.

Genau hinschauen

Viele empfinden natürlich auch den aktuellen SVP-Wahlkampf als überhaupt nicht harmlos und halten die Verwendung von Wörtern wie «Scheinflüchtlinge» oder «Scheinasylanten» (zum Beispiel im Parteiprogramm 2015-2019) für skandalträchtig. Ebenso selbstverständlich wird sich auch immer wieder irgendein SVP-Hinterbänkler politisch inkorrekt verhalten und so den Medien einen Anlass zur Berichterstattung geben. Die SVP ist eine grosse Partei, die sich fest vorgenommen hat, alle demokratisch und rechtsstaatlich gesinnten Kräfte am rechten Rand aufzusammeln. Dass Mitglieder in Einzelfällen aus der an sich demokratischen und rechtsstaatlichen Linie der Partei ausscheren, wird auch weiterhin vorkommen. Daran wird auch nichts ändern, dass die SVP offen radikal auftretende Mitglieder in den letzten Jahren konsequent ausgeschlossen hat.

Der Wähler darf sich jedoch nichts vormachen. Die Wahlkampfstrategie der SVP heisst 2015 «Im Stil lustig und freundlich, in der Sache aber knallhart». Wer diese Partei wählt, wählt ganz konkret mehr Härte, auf den verschiedensten Ebenen. Er sollte genau hinschauen, für welche Positionen, Kandidaten und Massnahmen er seine Stimme einlegt. Irgendwie «für die Schweiz» zu sein, ist kein ausreichender Grund, SVP zu wählen, denn bekanntermassen bleibt ein Wolf auch dann ein Wolf, wenn er den Schafspelz überstreift. Als grösste Partei verdient die SVP eine genaue Beobachtung, gerade von den Journalisten. Vielleicht kann das sachlichere Auftreten der SVP es nun endlich ermöglichen, dass sich die Journalisten verabschieden von der allzu emotionalen Beziehung, die sie in den letzten Jahren zu dieser Partei pflegten.

Eine zu starke SVP, die alleine definiert, was «schweizerisch» ist und was nicht, könnte für den Rechtsstaat und die Minderheiten gefährlich werden. Aber damit es soweit kommt, müsste sie schon wie die bayerische CSU über 50 Prozent der Stimmen holen. Und auch dann legt die Direkte Demokratie der Schweiz die jeweiligen Machthaber in ein recht enges Korsett. Die von den anderen politischen Kräften verbreitete Panik vor der SVP ist also nicht angezeigt.

Bild: Pressefoto welcometosvp.ch

September 14, 2015von Ronnie Grob
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Schweizer Wähler

Bern, 9. September 2015, 15:06 Uhr

Bern, 9. September 2015, 15:06 Uhr

«Dass ich als angehende Politologin zu den Wahlen gehe, ist Ehrensache. Ich bin auch bereits ziemlich gut informiert, mein Informationsaufwand hält sich also in Grenzen. Weil ich das Parlament für überaltert halte, werde ich vor allem junge Kandidaten wählen. Und um etwas auszugleichen, werde ich auch einen Schwerpunkt auf Frauen legen. Ich möchte Leute wählen, die sich für eine offene und fortschrittliche Schweiz einsetzen. Mir ist der Umweltschutz wichtig, soziale Anliegen und eine offene Aussenpolitik gegenüber Europa und auch hinsichtlich der aktuellen Flüchtlingskrise.

Wie immer werde ich die leere Liste einlegen und ich werde sicher links wählen. Aber ich werde mich nicht auf eine Partei beschränken, sondern einzelne Köpfe wählen. Ich fände es wichtig, dass mehr junge Leute zur Wahl gehen. Und dass sich die Leute informieren.»

September 14, 2015von Ronnie Grob
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Schweizer Wähler

Bachs, 12. September 2015, 12:53 Uhr

Bachs, 12. September 2015, 12:53 Uhr

«Ich werde ganz sicher SVP wählen, Liste 1. Das erste Mal in meinem Leben werde ich die SVP-Liste ohne jegliche Veränderungen einwerfen. Der Grund ist, dass die SVP die einzige Partei ist, die sich für unser Land einsetzt. Ich war früher über viele Jahre bei der FDP: als Gemeinderat, als Gemeindepräsident und in verschiedenen Kommissionen, so zum Beispiel während zehn Jahren in der aussenpolitischen Kommission in Bern. Doch für mich hat die FDP gegenüber der SVP an Klarheit eingebüsst. Das SVP-Parteiprogramm entspricht mir heute besser, und zwar von der Aussenpolitik über das Asylwesen bis zur EU-Frage.»

September 13, 2015von Ronnie Grob
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Schweizer Wähler

Bern, 9. September 2015, 20:08 Uhr

Bern, 9. September 2015, 20:08 Uhr

«Wenn ich die Unterlagen studiere, sortiere ich immer zuerst aus, was nicht in Frage kommt. Und alles, was rechts ist, kommt nicht in Frage. Die SVP versteht es zwar gut, die Themen des Wahlkampfs zu bestimmen, aber ich habe von dieser Partei bisher nicht den Eindruck erhalten, dass sie sich auf konstruktive Weise für die anstehenden Probleme in unserem Land einsetzt. Auf Twitter sind mir schon einige Kandidaten aufgefallen; ich werde dann prüfen, ob die in Frage kommen oder nicht. Mir ist es wichtig, dass die Leute speziell bei den Nationalratswahlen auch wählen gehen. Immerhin legt man damit die Weichen für die kommenden vier Jahre.»

September 12, 2015von Ronnie Grob
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Über mich


© Daniel Jung
Hallo, mein Name ist Ronnie Grob. Seit 2007 arbeite ich als Journalist und Blogger. Ich bin verantwortlich für Nach Bern! – eine Website, die den Wahlkampf um die Schweizer Parlamentswahlen am 18. Oktober 2015 verfolgte. Details dazu HIER.

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