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Interview

«Wir von Lobbywatch.ch recherchieren diese Fragen, deren Transparenz eigentlich Aufgabe des Staates sein müsste»

Thomas Angeli ist Co-Präsident von Lobbywatch.ch, einer Datenbank, die Interessenbindungen von Parlamentariern zu Firmen, Vereinigungen und Institutionen aufzeigt. Im Interview mit Nachbern.ch spricht Angeli über das Lobbying in den parlamentarischen Gruppen, die Transparenz des Parlaments und erzählt, wie Lobbys mit ihren Anliegen in die Medien kommen.

Nach dem Interview mit CVP-Nationalrat Urs Schläfli hatte ich den Eindruck, er rede lieber mit Lobbyisten als mit Journalisten. Ist das gefährlich?
Man muss als Politiker nicht unbedingt mit Journalisten reden. Wer aber eine allzu grosse Nähe zu Lobbyisten hat, begibt sich in die Gefahr, abhängig zu werden und nur noch die Meinungen gewisser Interessengruppen zu hören. Es legen zudem nicht alle Lobbyisten ihre Interessen offen.

Müssten die Badges abgeschafft werden?
Nicht zwingend, aber es muss Transparenz geschaffen werden. Heute kann ein Parlamentarier ja einer Person einfach als «Gast» Zugang zum Bundeshaus gewähren – und niemand hat eine Ahnung, welche Interessen dieser Gast vertritt. Wir von Lobbywatch.ch recherchieren diese Fragen, deren Transparenz eigentlich Aufgabe des Staates sein müsste, zum Beispiel der Parlamentsdienste. Die Parlamentsdienste können aber von sich aus gar nicht aktiv werden, dazu braucht es zunächst mal den politischen Willen des Parlaments, und der ist bisher nicht vorhanden. Im Nachgang der Kasachstan-Affäre wurden diesbezüglich parlamentarische Vorstösse lanciert, aber die werden erst nach den Wahlen behandelt. Was davon umgesetzt wird, zeigt die Zukunft. Wir sind sehr beschränkt optimistisch.

Ich hatte den Eindruck, die Parlamentsdienste verstehen sich nicht als Dienst am Bürger, sondern am Parlamentarier.
Es geht schon aus dem Namen hervor: Die Parlamentsdienste sind für das Parlament da. Es ist ein Dienstleistungsunternehmen innerhalb des Parlaments, das nicht stark auf eine Aussenwirkung ausgerichtet ist. Immerhin ist die Transparenz gegen aussen in den letzten Jahren etwas besser geworden. Die Liste der Zutrittsberechtigten ist inzwischen wenigstens im PDF-Format [Nationalrat / Ständerat] auf Parlament.ch verfügbar. Vor wenigen Jahren noch war diese Liste nur auf Anfrage in einem Büro der Parlamentsdienste einsehbar. Journalisten mussten diese Namen von Hand abtippen.

Wieso braucht es Lobbywatch.ch überhaupt?
Otto Hostettler und ich haben bei unserer journalistischen Tätigkeit für den «Beobachter» nicht nur eine grosse Intransparenz festgestellt, sondern auch, dass viele der aufgeführten Mandate und Interessenbindungen nicht mehr aktuell sind oder schlicht vergessen wurden. Niemand kontrolliert diese Liste, und es gibt keinerlei Sanktionen, wenn etwas nicht stimmt. Wir wollten deshalb eine Datenbank zur Verfügung stellen, die für alle abrufbar und recherchierbar ist.

Wie finanziert sich Lobbywatch.ch?
Wir haben im Herbst 2014 mit einem Crowdfunding 13 800 Franken gesammelt. Wenn wir die Daten vervollständigen und aktuell halten wollen, werden wir in der nächsten Zeit ein weiteres Crowdfunding machen müssen, denn nur mit Freiwilligenarbeit ist das nicht zu stemmen. Wir werden deshalb junge Journalisten anstellen, die für uns diese Recherchen machen.

Wer sind die problematischsten Lobbyisten?
Die Netzwerke im Parlament, die in den Bereichen Pharma oder Krankenkassen gesponnen werden, sind sehr stark. Ebenfalls stark, aber von uns noch nicht erschöpfend untersucht, ist die Landwirtschaftslobby. Die Lobby der Energieversorger dagegen hat gegenüber früher etwas an Einfluss verloren. Lobbyisten holen gerne Parlamentarier in Verwaltungsräte, um Einfluss auszuüben oder bemühen sich um einen der 492 Badges. Ein anderer, immer wichtiger werdender Bereich sind die parlamentarischen Gruppen, die Interessensgemeinschaften, die im Parlament gegründet werden. Das ist ein bisher völlig unkontrollierter Bereich des Lobbyings, in dem wir Transparenz schaffen wollen. Diese Gruppen sind in einer PDF-Datei auf Parlament.ch einsehbar. Interessant ist jeweils, wer das Sekretariat dieser Gruppen führt: oft erledigen das Interessenverbände oder Lobbyfirmen. Hier werden die Bewegungen der Parlamentarier orchestriert.

Wie kommen Lobbyisten in die Medien?
Die einfachste Form ist vermutlich, eine Studie zu machen. Wenn die Botschaft sexy ist, dann reicht es den Journalisten oft schon, wenn die Studie einen halbwegs seriösen Eindruck macht, und schon berichten sie breit. Das ist eine Form des Lobbying.

Haben es Lobbyisten nicht furchtbar leicht, auf die Titelseiten von Medien kommen, in dem sie Informationen bei Journalisten platzieren?
Ja. Aber man muss auch sehen, dass der Zeitdruck, den Journalisten heute haben, immens ist. Das Hauptbedürfnis vieler Journalisten ist es daher, möglichst schnell zu Informationen zu kommen. Und wenn man schnell sein muss, dann kann man nicht mehr in die Tiefe gehen und ist unter Umständen froh, wenn man eine Geschichte auf dem Silbertablett serviert erhält.

Was sagen Sie zu Parlamentariern wie Lorenz Hess (BDP), die hauptberuflich Lobbyisten sind?
Neu ist das nicht, und aus der Logik eines Lobby-Unternehmens macht das durchaus Sinn. Mit Kandidaten wie Lorenz Hess (BDP) und Claudine Esseiva (FDP) perfektioniert das Furrerhugi nun. Auch Alexandra Thalhammer (FDP) von Burson-Marsteller kandidiert. Tatsächlich kann man kaum einen besseren Zugang zum Bundeshaus erhalten als durch einen eigenen Parlamentarier. Zudem gibt es auch immer mehr Parlamentarier mit eigenen Beratungsunternehmen: Sebastian Frehner (SVP), Albert Rösti (SVP) oder Gregor Rutz (SVP), um nur einige zu nennen. Das sind Personen, die Vollzeit in einer Mischform zwischen Parlamentarier, Kommunikationsarbeiter und Lobbyist unterwegs sind.

Wie geht es nun weiter mit Lobbywatch.ch?
Wir wollen zunächst unsere Datensammlung vervollständigen. Sobald das gemacht ist, können wir diese Daten visualisieren. Vielleicht können wir uns dann auch besser vernetzen mit anderen Projekten. Gerade auf europäischer Ebene gibt es sehr interessante Projekte, die sich dem Lobbying widmen: Lobbycontrol.de, Abgeordnetenwatch.de oder Lobbyplag.eu. Um das alles umzusetzen, brauchen wir aber mehr Mitglieder, bisher ist die Mitgliederzahl überschaubar.

Das Gespräch mit Thomas Angeli wurde am 9. Oktober 2015 in Zürich geführt.

Oktober 16, 2015von Ronnie Grob
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Interview

«Ich bin nicht der Typ, der jedem Reporter die Hand schütteln und sich nach seinem Wohlbefinden erkundigen muss»

Urs Schläfli (CVP) belegt im Sonntagsblick-Rating der «grössten Hinterbänkler» im Parlament den ersten Platz. Nomen est omen? Im Gespräch über Journalisten und Lobbyisten und über die Arbeitsbelastung eines Nationalrats stellt sich der Bauer aus Deitingen als gar nicht so langweilig heraus.

Artikel im Sonntagsblick vom 13. September 2015
Bild: Auschnitt des Artikels im Sonntagsblick vom 13. September 2015.

Herr Schläfli, ich habe jetzt eben dreissig Minuten lang erfolglos Solothurner dafür zu begeistern versucht, bei der Rubrik «Schweizer Wähler» mitzumachen. Sind Solothurner zurückhaltender als andere?
Das glaube ich nicht. Solothurn ist ein kleines, schönes Städtchen, eine typische Durchschnittsstadt in der Schweiz.

Sie sind aus Deitingen. Wie viele Einwohner hat Deitingen?
2000 Einwohner. Wir haben 20 Bauern, wovon die eine Hälfte voll erwerbstätig ist, die andere Hälfte den Betrieb im Nebenerwerb führt.

Sie bezeichnen sich als Meisterlandwirt. Wie viele Tage die Woche sind Sie Bauer?
Ich bewirtschafte einen viehfreien Betrieb mit Ackerbau. Im Winter beschäftigt mich das etwa einen Tag in der Woche, im Sommer ist es mehr. Bei Spitzenzeiten habe ich zum Glück auch ein paar Freunde im Dorf, die ich anrufen kann und die mir aushelfen.

Hat es im Parlament nicht schon genug Bauern? Ich war gestern im Wallis. Ein Politiker sagte mir, dass solange es in Bern mehr Bauern habe als Touristiker, das für ihn Motivation genug sei, zu kandidieren.
(Lacht) Ob es genügend Bauern hat oder nicht in Bern, ist schwierig zu beantworten. Man sagt immer, es sei die stärkste Lobby. Dabei gibt es einige Akademiker in Bern, die irgendwann mal eine bäuerliche Ausbildung gemacht haben. Die gelten oft als Bauern, vertreten jedoch gar nicht alle Bauerninteressen. Ich dagegen schon, das gebe ich auch gerne zu. Ich stehe ein für eine Bevölkerung mit wertkonservativer Haltung, für Bodenständigkeit.

Welche weiteren Interessen vertreten Sie? Wie jeder Parlamentarier können Sie zwei Badges vergeben. Sie ermöglichen den Zutritt Lobbyist Roman Weissen und Konrad Imbach, dem Geschäftsführer des Verbands GebäudeKlima Schweiz. Warum?
Konrad Imbach ist ein guter Kollege von mir, der auf der gleichen Liste kandidiert, das ist ein Freundschaftsdienst. Auf Roman Weissen kam ich über einen Kontakt bei der Partei, ich kannte ihn vorher nicht. Ich prüfte darauf hin, wer das ist und was der für eine Einstellung hat und kam dann zum Schluss, dass ich es absolut vertreten kann, dass er meinen Badge erhält.

Was haben Sie denn jetzt davon?
Nichts. Ich habe den beiden nichts versprochen und sie mir umgekehrt auch nicht.

Dann hätten sie die Badges doch auch einfach nicht vergeben können?
Ja, das wäre auch eine Variante gewesen. Inhaber von Badges sind jedoch auch immer Informationsquellen. Wenn ich Roman Weissen treffe, dann vorwiegend im Bundeshaus.

Wurde Ihnen etwas bezahlt für einen der Badges?
Nein, keinen Franken, ich würde dafür auch nie Geld nehmen. Die Gerüchte gehen zwar, dass es Gebote für diese Badges gibt in der Höhe von 10 000 Franken und mehr. Mich erreichte jedoch nur ein konkretes Angebot in der Höhe von 200 Franken, das ich natürlich abgelehnt habe. Im Wahlkampf gab es Angebote, Inserate in Verbandszeitungen für mich schalten zu lassen – im Gegenzug hätte ich mich dann aber verpflichten müssen, ihre Meinung in den nächsten vier Jahren zu vertreten. Auch das habe ich abgelehnt. Ich bin unabhängig, soweit ich das sein kann und bestreite auch meinen Wahlkampf vorwiegend aus eigenen Mitteln. Hinter mir steht kein finanziell potenter Industrieller oder so. Ich bin lediglich Vizepräsident des Solothurnischen Bauernverbands. Die drucken nun Flugblätter mit allen acht bäuerlichen Kandidaten des Kantons.

Ich habe gelesen, ihr Wahlkampf-Budget ist beschränkt. Wie hoch ist es denn?
Vor vier Jahren setzte ich rund 3000 Franken ein, heuer wohl etwa 4000 oder 5000 Franken. Hinzu kommt die Zeit für meine Arbeit und die von Freunden, die mir geholfen haben, zum Beispiel, um Wahlplakate aufzustellen. Dabei aktiv unterstützt wurde ich auch von der solothurnischen katholischen Bauernvereinigung, aber nicht finanziell.

Sie haben bisher erst fünf Tweets abgesetzt, unter anderem reagierten Sie auf eine Auswertung des Sonntags-Blicks, in der Sie als Nummer 1 der «grössten Hinterbänkler in Bern» hervorgingen.

Wer den Medien nicht nachrennt, dem rennen sie eben selbst nach. Doch so prominent im Sonntagsblick wie ich es heute bin ist selten einer!!

— Urs Schläfli (@SchlaefliUrs) September 13, 2015


Sie kommen im Text mit dem Zitat «ich renne den Medien nicht hinterher» vor. Wie ist ihre Beziehung zu den Medien?
Ich bin seit 2011 im Parlament und habe dann auch gleich die negativen Seiten der Medien kennengelernt. Die Journalisten schreiben halt, wie sie es wollen oder interpretieren, und das ist auch gut so. Aber als Politiker steht man dann schon öfters schräg in der Landschaft, weil Zitate nur teilweise zitiert werden oder von einer Geschichte nur ein Teil abgedruckt wird. Wenn ich Journalisten sah in der Wandelhalle, habe ich sie jeweils freundlich begrüsst. Aber der Typ, der jedem Reporter die Hand schütteln und sich nach seinem Wohlbefinden erkundigen muss, bin ich nicht.

Gibt es denn solche Nationalräte?
Ja, es gibt schon Parlamentarier, die Kontakte zu Journalisten eifrig pflegen. Mir liegt das nicht so. Ich pflege jene Kontakte, die ich gerne pflegen möchte. Aus heutiger Sicht muss ich jedoch sagen, dass ich die Bedeutung der Medien absolut unterschätzt habe. Man kann als Nationalrat die beste Arbeit abliefern, aber wenn niemand davon erfährt, ist es ohne Bedeutung. Den Kampf um Aufmerksamkeit kann man gut bei bedeutungslosen und chancenlosen Vorstössen von Parlamentariern beobachten – teilweise machen die Medien um diese ein riesiges Cabaret. Ich nehme mich davon auch nicht aus, denn ohne Vorstösse ist man als Parlamentarier nicht existent in den Medien. Den Umgang mit den Medien muss man als Parlamentarier lernen, mir hat das zu Beginn vielleicht etwas gefehlt. Ich war zuvor ja nur zwei Jahre im Kantonsrat und hatte dort wenig Umgang mit den Medien.

Macht nicht jeder Politiker heute ein Medientraining?
Ja, ganz zu Beginn war ich mal einen Tag lang in einem Medientraining.

Was lernt man denn dort?
Wie man richtig vor der Kamera steht zum Beispiel oder sich richtig ausdrückt. Es gibt aber wohl Politiker, denen die Medienarbeit leichter von der Hand geht und andere, die mehr Mühe damit haben. In den letzten beiden Sessionen habe ich nun vermehrt angefangen, selbst aktiv auf die Journalisten zuzugehen. Man muss denen halt eben auch ab und zu etwas stecken, wenn man nicht als «Hinterbänkler» abgestempelt werden will. Es funktioniert nicht, wenn man einfach nur wartet, abgeholt zu werden. Auf der anderen Seite will ich auch mich selbst bleiben können, ich bin ja kein Schauspieler.

Haben Sie denn mit den Lobbyisten mehr Kontakt als mit den Journalisten?
Mit ihnen habe ich immer wieder Kontakt, ich finde es spannend, mit denen zu diskutieren. Es ist ein Austausch der Argumentarien, den ich nicht als negativ betrachte, sondern als informativ, eine Bereicherung der Meinungsbildung durch persönliche Kontakte. Am Ende entscheide ich dann natürlich trotzdem selbst und unabhängig.

Nach vier Jahren im Bundeshaus: was ist anders, als sie erwartet hätten?
Der zeitliche Aufwand ist grösser als gedacht. Einem erfahrenen Juristen fällt es gerade zu Beginn natürlich leichter, sich in den Aufbau eines Gesetzes einzuarbeiten als einem juristisch nicht ausgebildeten Landwirt. Es mag sein, dass andere die anfallende Arbeit in einem 50-Prozent-Pensum meistern können. Bei mir geht es schon eher in Richtung 80 Prozent, wenn man alle Aufgaben dazuzählt. Es gibt heute kaum einen Tag, an dem ich nicht irgendwelche Unterlagen studiere. Ich habe die sogar schon mit zur Feldarbeit genommen.

Ist es möglich, neben dem Nationalratsmandat einen 100-Prozent-Job zu erledigen?
Ich wüsste nicht wie. Meine Arbeitszeiten auf dem Bauernhof sind der Fläche des bewirtschafteten Kulturlands angepasst und belaufen sich auf ein Pensum von 50 Prozent. Ich bin so ab und zu zeitlich am Limit, aber ich kann es leisten.

Was würden Sie im Parlamentsbetrieb ändern?
Für meinen Geschmack wird zu viel geredet. Reden im Nationalratssaal darf man ja nur zu jenen Geschäften, die man in der vorberatenden Kommission behandelt hat. Diese Regelung ist in Ordnung. Die Behandlung von Volksinitiativen dagegen gehört in die Kategorie 1, das heisst, hier darf jeder reden, wenn er will, maximal fünf Minuten lang. Und so reden dann jeweils 60, 70, 80 Nationalräte …

… weil sie endlich mal was sagen dürfen?
Ja, genau. Aber dann kommen doch nur immer wieder die gleichen Argumente. Man müsste da ehrlicherweise zugeben, dass längst alles gesagt ist, die Positionen der Parteien protokolliert. Doch die Möglichkeit zu einem Auftritt will man sich dann doch nicht entgehen lassen.

Es hört ja auch niemand zu. Wie ist das?
Zu Beginn störte mich das ungemein. Es ist eine Art Schaulaufen.

Und für wen eigentlich? Für die Medien? Geht es nicht nur darum, um mit einem Satz in der Hauptausgabe der «Tagesschau» zu landen?
Das haben Sie jetzt gesagt, ich habe es nur gedacht.

Wieso sind Sie überhaupt in der CVP?
Die christlichen Grundwerte sind mir schon wichtig, auch wenn ich nicht jeden Sonntag in die Kirche gehe. Ich bin aus einer CVP-Familie und fühlte mich von Anfang an wohl in der Partei, es ist eine Mittepartei. Die SVP ist mir bei den Themen Asyl- und Sozialpolitik zu radikal.

Wie schätzen Sie es ein: werden Sie wiedergewählt?
Vor zwei Monaten war ich fast überzeugt, dass es funktionieren könnte. In der Zwischenzeit bin ich mir nicht mehr so sicher. Denn dieses Sonntagsblick-Rating wurde in der massgeblichen Lokalzeitung, der Solothurner Zeitung, nun schon dreimal zitiert, dreimal wurde ich dort als «Hinterbänkler» bezeichnet. Eigentlich könnten die Journalisten doch einfach «der stille Schaffer» schreiben. Für mich zählt die seriöse Vorbereitung der Geschäfte mehr als die Medienaufmerksamkeit oder irgendwelche Ratings.

Das Gespräch mit Urs Schläfli wurde am 30. September 2015, um 14 Uhr, in Solothurn geführt.

Oktober 5, 2015von Ronnie Grob
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Interview

«Ich erhalte regelmässig Anfragen von Parlamentariern, die darum bitten, ich solle etwas schreiben für sie»

Martin Schläpfer ist Leiter Direktion Wirtschaftspolitik des Migros-Genossenschafts-Bunds. Oder kürzer: Cheflobbyist der Migros. Im Interview mit Nachbern.ch erzählt der Ex-Journalist, wie er mit Parlamentariern und Journalisten umgeht und was er von Volksvertretern denkt, die hauptamtlich Lobbyisten sind.

Ich treffe Schläpfer an einem Vortrag für eine aus Luzern angereiste Klasse der Kantonsschule Rämibühl in einem Seminarraum am Bärenplatz in Bern.

Zwei «I» habe jeder Politiker, erzählt Schläpfer den Kantonsschülern: 1. Die Ideologie und 2. Die Interessen. Doch was auch immer die Parlamentarier denken und erreichen wollen: Um wieder gewählt zu werden, so Schläpfer, müssen sie etwas machen für die Lobbys. Denn tun sie nichts für die Lobbys, können sie auch nicht mit einer finanziellen Unterstützung rechnen.

Im Dezember warte viel Arbeit auf ihn, denn zunächst mal wolle er den Parlamentarieren persönlich zur Wahl gratulieren. Und dann müsse er die Neugewählten kennenlernen, schliesslich erneuere sich das Parlament alle zwölf Jahre komplett, da verliere man rasch den Anschluss, wenn man nicht aufpasse. Sehr wichtig für einen Lobbyisten sei es zudem, die Namen der Parlamentarier präsent zu haben – es schmeichle eben, bekannt zu sein. Als Lobbyist müsse man immer Zeit haben, einen Kaffee trinken zu gehen. Er sei in der letzten Sessionswoche auch jeden Abend an einem Essen, denn dort erfahre er regelmässig Informelles.

Nach dem Vortrag stelle ich noch ein paar Fragen.

Die rein intellektuelle Herangehensweise sei nicht passend, sagen Sie. Wie gehen Sie vor? Was macht Sie zu einem guten Lobbyisten?
Der Mensch nicht nur kopfgesteuert, er hat auch eine emotionale Seite und ist ein soziales Wesen. Dass man kommuniziert am Arbeitsplatz, ist doch ganz normal. Niemand geht ins Büro und arbeitet nur streng nach Vorschrift an seinem Computer. Nein, man sucht Anknüpfungspunkte: Man freut sich, wenn man jemand mal wieder sieht, wenn man über Fragen reden kann, die einen verbinden.
Ein Grundfehler, den man machen kann als Lobbyist, ist es, allzu direkt und fordernd auf die Leute zuzugehen. Man muss im Gegenteil gar nicht immer über das Thema diskutieren. Viele Parlamentarier schätzen es auch, wenn ich ihnen mal helfe, wenn sie einen Rat brauchen oder bei der Einschätzung einer Frage.

Die Parlamentarier kommen also auf Sie zu?
Ja, einige bitten mich darum, dass ich ihnen private Kontakte verschaffe. Ich erhalte auch regelmässig Anfragen von Parlamentariern, die darum bitten, ich solle etwas schreiben für sie. Einigen kann man dann ein paar Stichworte liefern und sie tragen das frei vor. Andere fordern ein fixfertiges Manuskript, das sie dann im Rat verlesen.

Was sagen Sie zu Parlamentariern wie Lorenz Hess (BDP), die beruflich Lobbyisten sind?
Es ist eine neue Erscheinung. Diese Leute haben den Vorteil, dass sie in den Kommissionen mit dabei sind – auch wenn sie sehr gut aufpassen müssen, das Kommissionsgeheimnis nicht zu verletzen. Sie sind mit dabei an den Fraktionssitzungen, an den Parteiversammlungen und sie verfügen über einen Bundesrat. Das heisst, sie haben ein sehr viel engeres Verhältnis zum Machtapparat als die Lobbyisten ohne Mandat. Es besteht allerdings die Gefahr, dass sie mit ihren Mandaten ins Schleudern geraten. Die Frage ist: wen vertreten diese Personen wirklich? Und legen sie offen, wen sie vertreten?

Wie viele der 246 Parlamentarier sind de facto Lobbyisten, geschätzt?
Die meisten haben schon irgendwelche Verbandsverbindungen. Aber jeder Fall ist einzeln zu bewerten. Werner Luginbühl (BDP) ist Leiter Public Affairs der Mobiliar. Alex Kuprecht (SVP) ist Relation Manager für die Basler Versicherungen. Eric Nussbaumer (SP) ist Leiter Kommunikation bei Swisspower. Gregor A. Rutz (SVP) ist Inhaber einer Kommunikationsagentur. Christa Markwalder (FDP) ist Juristin bei den Zurich Versicherungen. Heute ist es schwierig, als Parlamentarier vollumfänglich operativ tätig zu sein in einem Job. Deshalb haben viele Parlamentarier solche Posten.

Haben Sie sich auch schon überlegt, als Parlamentarier zu kandidieren?
Ich habe mal mit 21 Jahren erfolglos in Schaffhausen kandidiert. Heute aber bin ich ganz klar der Ansicht, es sei besser, nicht im Parlament zu sein.

Gibt es Parteien, die der Migros besonders nahe stehen?
Wir haben mal eine interne Auswertung gemacht. Da kam heraus, dass die liberalen Parteien, also die GLP und die FDP, den Migros-Positionen am nächsten sind.

Die Migros ist kaum je negativ in den Schlagzeilen – ist das auch ihr Verdienst?
Ich versuche, Schaden von der Migros abzuwenden. Es gibt schon auch mal negative Schlagzeilen, wenn wir Waren zurückziehen müssen beispielsweise.

Sie sind 30 Jahre in Bern, zunächst als Journalist und nun seit zwölf Jahren als Lobbyist. Wie hat sich ihr Bild der Lage verändert in der Zeit?
Ich habe zu Beginn noch ein Papierarchiv geführt! Die neuen Medien haben in den letzten Jahrzehnten schon sehr viel geändert. Die Leute kommunizieren heute zwar offener als früher, doch wirtschaftlich ist es für den Journalismus schwieriger geworden.

Gehen Sie auch direkt auf Journalisten zu?
Ich gehe kaum aktiv auf Journalisten zu. Wenn mich jemand kontaktiert, erzähle ich aber schon mal eine Geschichte. Aktiv einen Primeur in eine Zeitung zu setzen, kann mithelfen, die Dinge in Bewegung zu setzen.

Ist nicht auch die Migros so ein wichtiger Werbekunde der Printmedien, dass kaum je ein Medium über die Migros schlecht schreibt?
Ich bin nicht Kommunikationschef der Migros und das Inseratebudget interessiert mich persönlich nicht. Ich glaube, die Migros hat gegenüber der Kritik ein entspanntes Verhältnis und ist auch nicht nachtragend.

Wurden Sie schon mal übertölpelt bei einem Entscheid im Parlament?
Eigentlich noch nie, ich bin eher pessimistisch und vorsichtig. Es gibt Lobbyisten, die starken Druck auf Parlamentarier ausüben, zum Beispiel SMS verschicken direkt vor den Abstimmungen oder versuchen, mit allen Mitteln eine Zusicherung zu erhalten. Das ist eher nicht mein Stil.

Das Gespräch mit Martin Schläpfer wurde am 23. September 2015 in Bern geführt. Foto: Pressefoto Migros-Genossenschafts-Bund.

September 28, 2015von Ronnie Grob
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Interview,Wahlveranstaltung

SVP Schiessen in Regensdorf-Watt: «Trainieren der Wehrhaftigkeit»

Ich war an einem Sonntagmorgen in Regensdorf am «SVP Schiessen 2015». Um mit einer Kandidatin zu reden, die gemäss Smartvote.ch meine politischen Ziele teilt.

Der 13. September 2015, ein grauer Sonntagmorgen in der Zürcher Gemeinde Regensdorf-Watt. Auf dem Schiessplatz «Im Weidgang» am oberen Dorfrand trifft sich die Schweizerische Volkspartei SVP zum gemeinsamen Schiessen. Obwohl viele bereits am Freitag und am Samstag geschossen haben, sind Dutzende Leute vor Ort, es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Wie man mir berichtet, sind es aber weniger als auch schon. Dieses Jahr wurde der Anmeldeschluss sogar um eine Woche verlängert, um genügend Leute zu finden, denen das «Trainieren der Wehrhaftigkeit» ein Anliegen ist:

SVP Schiessen

Aus der Ferne ist Kirchenglockengeläut zu hören, aus der Nähe Schiesslärm. Es sind Gürtel mit Kühen drauf zu sehen, darüber Schwingerhemden. Und die Parteiprominenz ist vertreten mit Nationalräten wie Hans Fehr (SVP), Thomas Matter (SVP) («Habe jedes Mal die Scheibe getroffen, darauf bin ich stolz») oder Alfred Heer (SVP) («Meine Freundin hat mich angerufen, als ich gerade am Zielen war – dann habe ich verzogen»). Den Eingang zum Bereich, den man mit Ohrenschützern betreten sollte, weist eine Pappfigur mit einem lebensgrossen Mauro Tuena (SVP) («Ich wünsche Ihnen eine ruhige Hand und dann gut Schuss …»).

Schiessstand Regensdorf

Vor dem Schiessstand Regensdorf.

Männer mit Trainerjacken des FSG Zwillikon oder des Schiessverein Höri trotten zum Shuttlebus, der sie zu dem zwischen Niederhaslistrasse und Rümlangstrasse eingerichteten «Festgelände» bringt. Eine Gruppe junger Männer unterhält sich über Würste. Manche Sturmgewehre stehen offen herum, die meisten aber werden sauber verpackt transportiert. Die Stimmung ist gut, aber auch verhalten-ernst, als habe man an diesem Sonntagmorgen wie bei einem Kirchgang eine wichtige Pflicht zu erfüllen. Interessant ist die Durchmischung der Anwesenden: Es ist alt und jung da, überraschend viele Frauen und nicht wenige junge Menschen mit dunklerer Hautfarbe.

Vor dem Schiessstand Regensdorf.

Wahlplakat von Katia Weber (Junge SVP)

Katia Weber (Junge SVP) ist nach dem Schiessen etwas enttäuscht («letztes Mal hatte ich 62 Punkte»). Eine Smartvote-Auswertung hat ergeben, dass sie die Kandidatin im Kanton Zürich ist, die angeblich die meisten Übereinstimmungen mit meinen politischen Vorstellungen hat. Zeit, bei einem Gespräch mehr herauszufinden. Wir setzen uns vor das Schützenhaus.

Du bist gemäss Smartspider für eine extrem liberale Gesellschaft – warum bist Du in der von vielen als stockkonservativ eingestuften SVP?
Die SVP ist für mich die einzige Partei, die in Frage kommt, denn alle anderen Parteien sind mir zu weit links. Die FDP gilt zwar als bürgerlich, setzt mir das aber zu wenig konsequent um. Dass ich gemäss Smartvote eine «liberale Gesellschaft» stark befürworte, hat damit zu tun, dass ich sehr freiheitsdenkend bin – und das beisst sich halt ab und zu mit dem Konservativen. Ich bin in einem konservativen Umfeld aufgewachsen, aber gesellschaftspolitisch bin ich sehr liberal. Ich kann mir beispielsweise gut vorstellen, dass ein Kind mit zwei Vätern aufwächst. Oder dass es Homosexuellen erlaubt wird, Kinder zu adoptieren. Mit solchen Meinungen bin ich übrigens in der Jungen SVP auch nicht alleine.

Was machst Du beruflich?
Ich habe Fotofachfrau gelernt und arbeite als Fotografin. Dazu habe ich die Handelsschule gemacht und arbeitete zuletzt sechs Jahre in einer Anwaltskanzlei.

Du bist freiwillig hier als Helferin gemäss Einsatzplan, an einem freien Sonntag. Warum?
Das frage ich mich manchmal auch (lacht). Nein, für mich ist klar: Wenn ich mich in einem Verein engagiere, dann bin ich auch aktiv. Weil ich auch im Vorstand der Jungen SVP bin, nimmt mir das sehr viel Freizeit, vor allem jetzt, während des Wahlkampfs.

Und Du bist hier auch freiwillig zum Schiessen?
Klar! Meine Mutter ist ja eine sehr gute Schützin. Ich selbst habe das das erst letztes Jahr entdeckt. Eigentlich hätte ich gerne Militärdienst geleistet, aber damals, mit 18, habe ich mich nicht recht getraut.

Was sind Deine politischen Ziele?
Mein politisches Ziel ist es, weiterhin das Gedankengut der SVP zu vertreten und zu vermitteln. Manchmal glaube ich fast, an Standaktionen ist mehr zu erreichen als in einem Amt. Natürlich wäre es der Hammer, gewählt zu werden, aber mit Platz 5 auf der Liste der Jungen SVP sind meine Chancen gering.

Was sind Deine wichtigsten politischen Anliegen?
Sicher muss der Schweizer Staat seinen Schuldenberg reduzieren. Wenn Geld reinkommt, sollte es der Bund nicht gleich wieder ausgeben für etwas, für das er sich nun auch noch zuständig sieht. Ich bin für tiefere Gebühren und Steuern und natürlich für mehr Freiheit und weniger Gesetze. Weniger Schikanen und Rotlichter im Strassenverkehr, keine weitere Reduktion der Parkplätze. Viele sind auf das Auto angewiesen und bald ist es nur noch für Reiche zahlbar. Das möchte ich verhindern und appelliere auch da wieder zu mehr Freiheit und Selbständigkeit. Weiter stehe ich ein für ein härteres Vorgehen gegenüber Straftätern. Ich kann es nicht verstehen, wenn jemand einen Mord begeht und ihm dann auch noch eine Therapie bezahlt wird. In der Schweiz kümmert man sich zu wenig um die Opfer und zu sehr um die Täter.

Gibt es auch Leute in der SVP, mit denen du gar nichts am Hut hast?
Es gibt schon auch Leute, mit denen ich rede und nur wenig gemeinsames Gedankengut entdecke. Hinter den Exponenten der Partei – also Blocher, Köppel oder Mörgeli – stehe ich aber voll und ganz.

Wie wichtig ist das Thema Zuwanderung für Dich?
Das Asylthema ist heikel, sehr emotional, das merkt man bei den Gesprächen mit der Bevölkerung. Der Masseneinwanderungsinitiative habe ich zugestimmt, um ein Zeichen zu setzen. Die Infrastruktur muss ja immer erweitert werden. Und irgendwann reicht die ja nicht mehr aus für so viele Leute.

Mit welcher Partei kannst Du nichts anfangen?
Mit der JUSO. Diese Partei steht nun mal überhaupt nicht auf meiner Linie. Sie fordert nur, ohne zu überlegen, wo das Geld herkommt, mit dem alles bezahlt werden soll.

Das Gespräch mit Katia Weber wurde am 12. September 2015 in Regensdorf-Watt geführt.

September 25, 2015von Ronnie Grob
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Interview

«Letzten Sonntag hatte ich in einer Sonntagszeitung eine grössere Story drin»

Michael Gehrken ist selbständiger Lobbyist in Bern. Als ehemaliger Journalist, Kommunikationsberater und Amtssprecher kennt er die Kommunikationswege in Bern bestens. Im Interview mit Nachbern.ch erzählt er, wie man einen Journalisten dazu bringt, im Sinne des eigenen Auftraggebers zu schreiben und weshalb Politikjournalisten von Sonntagszeitungen nicht vor Donnerstag gestört werden möchten.

Ihre Firma heisst Competentia, ihre Anrufe werden aber von Furrer-Hugi entgegengenommen. Wie das?
Competentia – Dr. Michael Gehrken ist eine Einzelfirma, ich bin selbständig erwerbend. Zusammen mit Nationalrat Lorenz Hess (BDP) und Rob Hartmans bin ich als einer von drei aktiven Partnern beteiligt an der Furrer Hugi Advisors AG, welche eng mit der im selben Hause angesiedelten Agentur furrerhugi kooperiert. Es handelt sich dabei um ein Konstrukt wie in einer Anwaltskanzlei, wir haben die Zusammenarbeit vertraglich geregelt: Wenn die Kommunikationagentur furrerhugi spezifisches Know-How braucht aus unserem Themenfeld, dann kommen sie auf uns zu und ziehen uns bei. Andererseits beziehen wir Dienstleistungen bei furrerhugi.

Wir haben uns im Hotel Bellevue an einer von der SPAG organisierten Podiumsdiskussion zum Thema Asyl kennengelernt. Was haben Sie gestern an diesem Anlass gemacht? Was haben Sie gearbeitet?
Politik hat sehr viel mit Informationsaustausch zu tun, also mit dem Abholen und dem Vermitteln von Informationen. Dafür gibt es die klassischen Medienkanäle. Aber einer der Verbreitungskanäle ist natürlich auch der persönliche Kontakt. Ich war aus Interesse am Thema am Anlass, aber grundsätzlich geht es dabei natürlich auch immer um die Pflege von Netzwerken. Das persönliche Gespräch ist eine Ebene, die ich nicht missen möchte – denn wie wäre das, wenn wir nur noch alle vor den Computern sitzen würden? Sie und ich sind das beste Beispiel dafür, dass so ein Anlass Sinn macht – wir haben uns dabei kennengelernt.

Diese Netzwerke müssen sich ja dann auszahlen. Man muss die Leute, die man kennenlernt, doch irgendwann dazu bringen, etwas zu tun, das die eigenen Geldgeber befriedigt.
Nein, nicht zwingend. Netzwerke werden gepflegt, weil die Leute an sich ein Bedürfnis zum sozialen Austausch haben – an solchen Anlässen tummeln sich viele begnadete Netzwerker. Die Frage ist, ob man diese Netzwerke auch im Auftrag für andere einsetzt. Und das ist in meinem Fall durchaus so, indem ich in diesen Netzwerken auch offen Anliegen von Mandanten vertrete.

Wenn jemand Geld gibt, dann will er ja in der Regel auch etwas dafür.
Als ich mit Competentia anfing vor einem Jahr, hatte ich schon ein relativ grosses Beziehungsnetz. Und viele Leute aus meinem Umfeld sind dann an mich herangetreten, ob ich nicht Kontakt schaffen könnte zu diesen oder jenen Personen. Hier nehme ich also so etwas wie eine Vermittlerfunktion ein. Die Problematik dabei ist: Wo leistet man einen kostenlosen Freundschaftsdienst? Und wo beginnt der Aufwand, für den man auch etwas verlangen muss?

Aber ihre Klienten erwarten doch etwas von Ihnen?
Sie erwarten von mir zu Recht, dass ich ihre Interessen vertrete, dass ich ihre Anliegen in die Politik einbringe.

Und das läuft dann über diese Netzwerke?
Das ist so – unter anderem. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Auf dem Höhepunkt der Diskussionen zum Lobbying im Fall Markwalder während der Sommersession habe ich mit einer SP-Nationalrätin etwas auf der Bellvue-Terrasse gegessen. Als ich ihr gegenüber meinen Kunden «strasseschweiz – Verband des Strassenverkehrs» deklarierte, kritisierte sie das als schädliche Einflussnahme. Gleichzeitig aber bezeichnete sie mein Lobbying für meinen Kunden «Alliance Animale Suisse» als gutes Lobbying. Das zeigt mir auf, dass die Beurteilung von Lobbying oft eine Frage des Standpunkts ist. Jeder Lobbyist muss sich überlegen, welche Aufträge er annehmen will und welche nicht. Das ist ein moralisch-ethischer Entscheid.

Gibt es denn Mandate, die Sie nicht annehmen würden?
Also ich persönlich hätte ein Problem damit, Diktatoren zu vertreten. Aber jeder hat das Recht, seine Interessen zu vertreten, ich mag hier niemanden verurteilen.

Gemäss Lebenslauf waren sie sechs Jahre als Journalist tätig, dann PR-Berater und Amtssprecher, nun Lobbyist. Sagen Sie mir doch: Wie kann man einen Journalisten am Leichtesten um den Finger wickeln?
Man kann sie nicht um den Finger wickeln. Man weiss aber, welche Journalisten persönlich an welchen Themen interessiert sind. Mit News in diesen Bereichen findet man den Zugang zu ihnen und kann etwas Existierendes in ihr Blickfeld rücken.

Was ist das für ein Gefühl, wenn Sie erfolgreich sind? Also wenn Sie mit einer Information an einen Journalisten herantreten, der diese richtig aufnimmt und widergibt und Ihre Story mit dem richtigen Spin auf der Titelseite einer Sonntagszeitung landet?
Es ist eine gewisse Befriedigung, selbstverständlich. Ich kann ganz offen sein: Letzten Sonntag hatte ich in einer Sonntagszeitung eine grössere Story drin, die am Montag auch von anderen Zeitungen aufgenommen wurde.

Können Sie sagen, welche das ist?
Das möchte ich lieber nicht sagen. Aber erstens hat das den Journalist befriedigt, weil er etwas gebracht hat, das am Montag Widerhall gefunden hat. Die Story hatte ganz offenbar eine gewisse Relevanz, was für den Journalist nicht unwichtig ist. Zweitens hat es mich befriedigt, weil die Story im Sinn des Auftraggebers war. Und drittens hat es den Auftraggeber befriedigt – sehr!

Und wenn die Story lesenswert war, dann war doch auch der Leser befriedigt.
Das ist durchaus so. Zumal die Story gut und mit verschiedenen Meinungen aufgearbeitet war.

Haben es gewisse Journalisten von Sonntagszeitungen nicht sehr einfach? Ich frage mich manchmal, was die während der Woche machen.
Ohne wertend zu sein: Ich weiss von Leuten bei Sonntagsmedien, die sehr offen darum bitten, nicht vor Donnerstagmittag über gewisse Geschichten zu reden.
Früher war es so bei den Sonntagsmedien: Am Montag war frei. Am Dienstag dann haben die Journalisten angefangen, etwas zu recherchieren. Doch das Problem ist, dass wer recherchiert, auch riskiert, dass jemand Wind kriegt von diesen Recherchen. Man wird versuchen, zu übersteuern, also zu erreichen, dass die Recherchen nicht zu einer Geschichte werden.
Als ich noch bei der Bundesverwaltung tätig war, war es durchaus üblich, am Freitagnachmittag um 16 Uhr eine Medienmitteilung zu verschicken, wenn sich abgezeichnet hat, dass eine Story in den Sonntagsmedien erscheint. So war die Story am Samstag in den Medien und am Sonntag erledigt. Der Journalist ist folglich gezwungen, seine Recherchen auf das Ende der Woche zu legen. Heute fangen deshalb viele Sonntagmedien erst am Donnerstag an, vorsichtig kontrovers zu recherchieren. Die Konfrontation der Betroffenen mit den Fakten findet am Samstag statt – erst dann können sie nicht mehr reagieren. Und vor allem: Auch die Konkurrenz hat keine Vorlaufzeit mehr, dieselbe Geschichte aufzunehmen.

Wie sind die Erfahrungen mit Medien sonst?
Ich stelle fest, dass sehr oft in allen Medien das Gleiche kommt, dass der eine dem anderen abschreibt. In den letzten Jahren hat sich die Zusammenarbeit mit der SDA problematischer gestaltet, weil diese Inputs oft sehr unreflektiert widergegeben hat. Das war in vielen Fällen Verlautbarungsjournalismus, ein Paradies für jeden PR-Menschen, wobei ich diese Tendenz nicht zuletzt auf die faktische Monopolstellung der SDA zurückführe. Aber als Bürger überlegt man sich ja trotzdem, ob das sinnvoll ist. PR-Firmen haben inzwischen angefangen, Medienmitteilungen, die früher reine Verlautbarungen waren, gleich inklusive Zitat zu liefern. Und die werden dann nicht selten von Online-Medien 1:1 so übernommen – lediglich das Kürzel des Journalisten wird noch hinzugefügt. Mit dem gestiegenen Zeitdruck ergibt sich oft auch die Situation, dass ein Lokalradiojournalist anruft und einfach dringend ein Zitat irgendeines Experten haben möchte. Man nimmt dann einfach den, der Auskunft gibt und nicht den, der etwas dazu zu sagen hätte.

Wie sehen Sie die Behörden?
Ich war von 2001 bis 2003 Informationsbeauftragter im Bundesamt für Strassen. Meine Auffassung war damals, dass alles, was die Verwaltung betrifft, auch öffentlich sein muss, dass man nichts verheimlichen oder verschweigen muss. Doch in den letzten zehn, fünfzehn Jahren führt sich die Verwaltung wie eine eigene Gewalt auf, die eigene Interessen durchzusetzen versucht. Ich hatte übrigens damals nur einen Mitarbeiter. Heute arbeiten in diesem Bereich sieben Personen. Den Vorwurf, dass dieser Bereich zu sehr ausgebaut wurde, teile ich.

Das Gespräch mit Michael Gehrken wurde am 16. September 2015 in Bern geführt.

Foto: Thomas Egger.

Als ergänzender Lesetipp sei das Interview «Man kann Dreck nicht zu Gold machen» in der Berner Zeitung empfohlen, das Stefan von Bergen mit Lorenz Furrer geführt hat.

September 22, 2015von Ronnie Grob
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Hallo, mein Name ist Ronnie Grob. Seit 2007 arbeite ich als Journalist und Blogger. Ich bin verantwortlich für Nach Bern! – eine Website, die den Wahlkampf um die Schweizer Parlamentswahlen am 18. Oktober 2015 verfolgte. Details dazu HIER.

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