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Schweizer Wahlkampf 2015
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In eigener Sache

Rückblick auf Nachbern.ch 2015

Das Projekt Nachbern.ch begleitete 42 Tage lang den Wahlkampf 2015 in der Schweiz, vom 7. September bis zu den Wahlen am 18. Oktober. Was ist in dieser Zeit geschehen? Welche Erkenntnisse konnten gewonnen werden? Ein kleiner Rückblick – inklusive allem, was auch noch war.

Was habe ich veröffentlicht auf Nachbern.ch?

Nach der ersten Woche, die mich gegen meinen Willen mit der Aufarbeitung einer entzogenen Akkreditierung beschäftigte, produzierte ich auch noch das hier:

  • Insgesamt 40 gesammelte «Schweizer Wähler» (davon 13 weibliche)
  • 7 längere Berichte von Wahlveranstaltungen aus Neuenkirch und Sempach (LU), Zürich (ZH), Lausanne (VD), Brig und Gamsen (VS), Uetendorf (BE), Regensdorf-Watt (ZH) und Zollikofen (BE)
  • 4 Interviews zum Thema Lobbying
  • 1 Analyse zum SVP-Wahlkampf

Recht viel zu produzieren, auch alleine, ist also möglich. Doch auch wenn ich keine Mühe habe, Entscheidungen zu treffen, so war es aber gerade in der ersten Woche schon sehr fordernd, alles selbst machen zu müssen: Beiträge schreiben, Medienanfragen beantworten, mich um die Erneuerung der Akkreditierung bemühen; alleine die Betreuung der Sozialen Medien nahm fast die Hälfte aller Aktivitäten in dieser Zeit ein. Ich hätte mich da oft gerne mit einem Team besprochen und andere Meinungen eingeholt. Doch um ein Team zu finanzieren, hätte das Crowdfunding einen viel höheren Betrag erlösen müssen.

Was ging alles schief?

Die Entscheidung, keine Kameraausrüstung mitzuschleppen, sondern alle Fotos mit meinem angejahrten Smartphone (Samsung Note 3, gekauft im Frühling 2014) zu machen, war nicht unbedingt eine schlechte. Das Gerät war so stets zur Hand, die Qualität der Fotos ganz in Ordnung – solange die Sonne schien. In schlecht belichteten Räumen aber versagte das Gerät (oder der Fotograf), unscharfe Bilder waren dann die Regel. Die Versuche, per Bildbearbeitung zu retten, was noch zu retten war, gehören zu den Tätigkeiten, die ich wenn immer möglich zukünftig in die Hände von Profis geben möchte.

Bei 2 von insgesamt 56 Tonaufnahmen liess mich die Speicherkarte meines Audio-Aufnahmegeräts (Zoom H4nSP) im Stich, die Dateien konnten nicht geöffnet werden. Von einer weiteren Aufnahme, die ich auf einer Fussgängerbrücke über die Aare in Solothurn aufgenommen hatte, waren leider nur wenige Bruchstücke zu hören, weil der Wind ins Mikrofon blies und ich nicht an einen Windschutz gedacht hatte. Schade deshalb, weil der junge Mann der erste war, der sich zu einem Gespräch bereit zeigte, nachdem ich eine halbe Stunde lang vergeblich diverse Personen angesprochen hatte. Und schade deshalb, weil nicht nur das Foto ganz gut herausgekommen ist, sondern weil er auch eine interessante Art hatte, zu wählen: Er schrieb die Namen der ersten sechs Kandidaten, die ihm Smartvote.ch vorgeschlagen hatte, einfach 1:1 ab und notierte sie auf seinem Wahlzettel.

Wähler in Solothurn

Meine Idee, handschriftliche Postkarten an die Unterstützer zu versenden, wäre gar nicht so schlecht gewesen. Hätte es der notorische Laptop-Arbeiter Grob nicht in den letzten Jahren verlernt, von Hand zu schreiben. Zusammen mit einer leicht grobmotorischen Veranlagung sind nun Postkarten herausgekommen, die von den Empfängern im besten Fall sogar entziffert werden können. Viel «Spass»!

Wie ging das nochmals mit diesem «Eklat»?

Wer im Parlament Parlamentarier, die sich selbst fotografieren, fotografiert, ohne vorher eine explizite Erlaubnis einzuholen, dem wird die Akkreditierung entzogen. Soweit die Erkenntnis an Tag 3 von Nachbern.ch. Wer die Story dazu nachlesen will, kann das in diesen Beiträgen:

«Die Debatte im Nationalrat ist tot» (Nachbern.ch, 8. September 2015)
«Per sofort kein Zutritt mehr zum Bundeshaus für Nachbern.ch» (Nachbern.ch, 9. September 2015)
«Offener Brief an Mark Stucki, Bereichsleiter Information, Parlamentsdienste, Bern» (Nachbern.ch, 10. September 2015)
«Reaktionen auf den Entzug der Akkreditierung» (Nachbern.ch, 10. September 2015)

Was bleibt mir von der Geschichte in Erinnerung?

  • Dass Chantal Galladé (SP) bis heute behauptet, ich würde «lügen» (Screenshot) und wolle mit einer «falschen und bösartigen Unterstellung» (Screenshot) etwas erreichen. Eine Anfrage für ein klärendes Interview hat sie nicht beantwortet. Ich bleibe vollumfänglich bei meiner Darstellung und habe nichts zurückzunehmen.
  • Dass mir die «Sonntagszeitung» allen Ernstes vorwarf, mich selbst zu inszenieren, weil ich nicht brav akzeptieren wollte, dass mir der Zugang zum Bundeshaus entzogen wird. Die Story von Barnaby Skinner enthielt nicht nur vier faktische Fehler, die erst auf ausdrückliche Nachfrage korrigiert wurden. Sie ist – neben der legitimen und von mir akzeptierten kritischen Sichtweise («schoss sich auf Personen ein», «die grössten Verlierer sind deshalb die 101 Personen, die Grobs Berichterstattung mit 10 430 Franken unterstützen») – auch deshalb ein Tiefpunkt, weil sich hier ein Journalist gegen einen anderen auf die Seite der Staatsmacht stellte («der falsche Winkelried», «eine Posse sondergleichen», «missachtete die politische Debatte»). Ein Journalist, der einen anderen einen «falschen Winkelried» nennt, nur weil dieser unabsichtlich einen Punkt eines staatlichen Merkblatts vergessen hatte, bewegt sich auf sehr dünnem Eis.
  • Dass die Parlamentsdienste fähig sind zur argumentativen Akrobatik. Mir schreiben sie «Sie haben ab sofort keinen Zutritt mehr», was eine zeitlich unbeschränkte Sperre bedeutet. Die nachhakenden Journalisten dagegen informieren sie grossherzig, dass ich absolut problemlos jeden Tag wieder eine Akkreditierung erhalten könne. Der gutgläubige Barnaby Skinner etwa schrieb: «Der Parlamentsdienst sagt auch: Grob könne jederzeit einen neuen Antrag für eine Akkreditierung stellen. Der Ausschluss betreffe nur die Tage, die er bereits gemeldet habe.» Bei mir fragte er nicht nach. Tatsächlich wurde mir von den Parlamentsdiensten am 28. August 2015 per E-Mail eine tägliche Akkreditierung für die Zeit vom 6. bis 25. September 2015 zugesichert.
  • Dass man als Journalist eine Bewilligung zum Fotografieren der Parlamentarier von der Journalistentribüne aus auch dann einholen muss, wenn die Fotografen neben einem auf der Journalistentribüne Parlamentarier fotografieren – und wenn die Parlamentarier, die unter einem sitzen, einander fotografieren. De facto durfte ich vom 9. bis zum 14. September nicht ins Bundeshaus. Nach einer kurzen persönlichen Aussprache mit Mark Stucki von den Parlamentsdiensten wurde mir der Zugang ab dem 15. September 2015 wieder gewährt. Die Unterredung endete schon nach kurzer Zeit ohne jegliche Auflagen, aber mit der Zusicherung meinerseits, das Merkblatt zukünftig in allen Punkten einzuhalten. Am 17. September geisterte ich dann sogar als Gespenst durch das Bundeshaus, denn Mark Stucki schrieb mir per E-Mail:

    «Ich wurde kontaktiert, weil Sie – dem Vernehmen nach – heute auf der Pressetribüne des Ständerates waren und fotografiert hätten.»

    Ich schrieb ihm postwendend zurück:

    «Ich war heute bisher noch nicht im Parlament, also auch nicht auf der Pressetribüne des Ständerats. Falls jemand fotografiert hat heute, so kann ich ihnen zusichern, dass ich es nicht war.»

    Persönlich glaube ich, es würde den Parlamentsdiensten gut anstehen, in ihrem unterwürfigem Eifer, den Parlamentariern zu Diensten zu stehen, weder den Bürger noch das freie Wort zu vergessen. Denn sowohl die Parlamentarier als auch die Parlamentsdienste stehen in erster Linie im Dienste des Bürgers.

Wie war der Wahltag im Bundeshaus?

Langweilig. Und mit einem sehr bescheidenen Aufmarsch an Politikern. Doch vielleicht ist es ganz gut so, dass sich die Journalisten am Wahltag im Bundeshaus langweilen, während die Menschen der Schweizer Politik in ihren Kantonen zusammenkommen oder gleich zu Hause bleiben. In der Abwägung, ob das Fernsehen zukünftig aus Zürich-Leutschenbach oder aus dem Bundeshaus berichtet, sollte ganz simpel das tiefere Budget den Ausschlag geben. Denn man kann die «Elefantenrunde» überall in der Schweiz machen. Also am besten in einem kostengünstigen Fernsehstudio. In Zürich. In Lugano. Oder in Genf.

Wahltag im Bundeshaus am 18. Oktober 2015

«Wir können keine minimale Bandbreite für diesen Internetzugang garantieren», stand im Infoblatt der Parlamentsdienste für den Wahltag. Die TV-Übertragung per Stream im Kommissionszimmer der Deutschschweizer Journalisten funktionierte dann tatsächlich nicht, die dort schreibenden Journalisten wurden über Stunden mit einem ruckelnden Stream gequält; ein zu Hilfe gerufener Techniker konnte das Problem nicht lösen. Also schaute man in das TV-Gerät des «Grand Café des Alpes», zusammen mit den SRG- und SRF-Spitzen, welche die Wahlergebnisse emotionslos und mit stoischer Ruhe aufnahmen.

Wahltag im Bundeshaus am 18. Oktober 2015

Das Lagerfeuer TV SRF funktioniert zumindest am Wahltag noch perfekt. Die Deutschschweizer Journalisten drängen sich um den Bildschirm, auf dem SRF1 läuft. Die Westschweizer Journalisten um den Bildschirm vis-à-vis, auf dem RTS1 läuft. Die Journalisten sind übrigens inzwischen so modern, dass sie die Input-Informationen per Second Screen ergänzen (oft: Twitter). Beim schriftlichen Festhalten von Informationen jedoch ist die Technik erst sehr vereinzelt verbreitet. Sehr viele Bundeshausjournalisten machten sich Notizen mit einem Stift, auf einem Notizblock aus Papier.

Überwunden wird die Sprachgrenze des Röstigrabens erst, als sich die Journalisten am Abend Wein ausschenken lassen. Alle angebotenen Esswaren und Getränke waren übrigens für die Anwesenden kostenlos, Bezahlen nicht möglich. Finanziert wurde das vom Verein Hauptstadtregion Schweiz, wie die Parlamentsdienste auf Anfrage mitteilen, also indirekt vom Steuerzahler.

Wie war der Wahlkampf?

Dass die SVP zulegen und sich die SP auf Kosten der Grünen behaupten würde, das hatte ich auch ohne repräsentative Umfragen aufgrund meiner Gespräche mit den «Schweizer Wählern» vermutet; die ebenfalls Wähleranteil einbüssenden Mitteparteien GLP und BDP wurden dabei kaum je genannt. König dieses Wahlkampfs und stets im Fokus der Aufmerksamkeit war die SVP: Sie trieb die anderen Parteien vor sich her, die hauptsächlich reagierten, nicht agierten. Die neue, weichere, freundlichere Form des Wahlkampfs, wie sie diese Partei nun erstmals betrieben hat (vgl. «Der Wahlkampf der SVP 2015: Im Stil freundlich, in der Sache hart»), hat Früchte getragen: Der Anteil der Frauen an der Wählerschaft konnte stark gesteigert werden. Die neu hinzugekommenen Wählerinnen und Wähler setzen dann aber auch neue Akzente bei den Kandidaten und wiesen langjährige Aushängeschilder der Partei wie Hans Fehr (SVP), Roland Borer (SVP) oder Christoph Mörgeli (SVP) aus dem Parlament. Man kann wohl davon ausgehen, dass auch ein Toni Bortoluzzi (SVP) oder ein Max Binder (SVP) nicht wieder gewählt worden wären.

Hatte Nachbern.ch denn überhaupt Leser?

Ja. In der ersten Woche sehr viele, danach im erwartbaren Ausmass:

Zugriffszahlen Nachbern.ch

Darf man Berichterstattung als Belohnung anbieten?

Im Crowdfunding habe ich Belohnungen in Form von Berichterstattung in Aussicht gestellt, falls ein bestimmter Betrag gespendet werden sollte. Jemand bezahlte 500 Franken, damit ich «unabhängig und kritisch» von einer «Wahlkampf-Veranstaltung für die National- und Ständeratswahlen 2015» berichte. Und jemand bezahlte 1000 Franken für einen Drink inklusive Interview auf Nachbern.ch. Dass ich solche Angebote überhaupt mache, rief Kritik hervor, zum Beispiel in einem Interview auf Persoenlich.com. Und in Tweets:

@ronniegrob Kann man schon machen. Aber schade, wenn Zahlungsbereitschaft ausschlaggebend ist für Präsenz auf Deiner Seite.

— Rahel Walser (@Reidschl) July 30, 2015

@nachbern ich finds problematisch, ja. Weil man sich so Berichterstattung sichern kann. Auch die Auswahl gehört zur journ. Unabhängigkeit.

— Ruben Schönenberger (@rubensch) July 30, 2015

Nun ist beides nicht zustande gekommen. Im ersten Fall nicht, weil die Person einfach nur 500 Franken spenden wollte und die Belohnung versehentlich reklamiert hatte. Im zweiten Fall nicht, weil die Person dann doch nicht interviewt werden wollte.

Was war auch noch? (I)

Bei allerschönstem Spätsommerwetter war ich auch noch am Doppel-Wahlkampfevent «Zmörgeli mit Mörgeli» / «Ghackets mit Matterhörnli» von Christoph Mörgeli (SVP) und Thomas Matter (SVP) auf dem Huebhof in Bachs im Kanton Zürich. Bei musikalischer Begleitung von Willis Wyberkapelle wurde kostenlos ein gutes Frühstück serviert. Und dann gleich noch ein Mittagessen.

«Zmörgeli mit Mörgeli» am 12. September 2015 in Bachs

Aufgefallen am Anlass ist mir ein Mann im Publikum, der fast alles, was gesagt wurde, kurz kommentierte. Hier ein paar Müsterchen seiner Kommentare:

Matter: «87 Prozent der Asylbewerber beziehen Sozialhilfe.»
Mann aus dem Publikum: «Super!»
Matter: «Wir sollten kein Bargeld mehr verteilen, sondern nur noch Sachleistungen.»
Mann aus dem Publikum: «Genau!»
Mörgeli: «Wir sind ja ihre Knechte, und sie sind unsere Meister.»
Mann aus dem Publikum: «Schön wär’s!»
Matter: «Wann haben Sie zuletzt einen Anwalt vom Staat gestellt erhalten?»
Mann aus dem Publikum: «Ich habe noch nie etwas erhalten.»

«Zmörgeli mit Mörgeli» am 12. September 2015 in Bachs

Was war auch noch? (II)

Ich war an einem Fussball-Match auf dem Sportplatz Bodenweid in Bümpliz, welchen der FC Nationalrat gegen das Swisscoach-Team mit 0:1 verlor, unter anderem, weil Stürmer Fabio Regazzi (CVP) auch die besten Chancen versiebte. Die weiteren Offensivkräfte Christian Wasserfallen (FDP) und Hannes Germann (SVP) agierten allerdings auch nicht glücklicher. Ein Spielbericht lässt sich hier nachlesen. Auf dem Bild sehen wir einen Eckball des FC Nationalrat, links aussen mit der Rückennummer 8 steht Thomas Minder (parteilos):

FC Nationalrat

Was war auch noch? (III)

Der traditionelle Herbstsessions-Anlass der Schweizerischen Public Affairs Gesellschaft (SPAG) am 15. September 2015 im Hotel Bellevue in Bern, an dem DEZA-Sonderbotschafter Eduard Gnesa redete:

SPAG-Podiumsdiskussion am 15. September 2015

Auf dem Podium lieferten sich anschliessend Silvia Schenker (SP), Ruth Humbel (CVP), Oskar Freysinger (SVP) und Doris Fiala (FDP) eine zerfahrene Diskussion zum Thema «Migration über das Mittelmeer – Herausforderung für Europa und die Schweiz». Auf peinliche Weise emotional aneinander gerieten vor allem FDP und SVP: Fiala sprach bei jeder Gelegenheit dazwischen und Freysinger schaffte es, trotz mehrerer Nachfragen kein Wort zu äussern zur aktuellen Asylgesetzgebung. Von den Leuten auf dem Podium am ehesten einen vernünftigen Eindruck machte in dieser Diskussion Silvia Schenker, die von der Wichtigkeit sprach, dass die Asylgesetzrevision durchgebracht und nun umgesetzt werde. So gebe es auch in Zukunft geordnete Verhältnisse: «Die Bedingungen sind nicht erfüllt, als dass die Schweiz wieder Grenzkontrollen einführen müsste.» Der Diskussion nicht dienlich war es, dass die Moderatorin des Gesprächs, Anja Burri vom Tages-Anzeiger, den SVP-Vertreter wie einen Paria behandelte und ihn nicht angemessen zu Wort kommen liess.

Wem gebührt Dank?

Allen Spendern und Unterstützern. Allen Lesern und Kommentierern. Und überhaupt allen, die nach meinem Rausschmiss aus dem Bundeshaus solidarisch mit mir waren, Berichte darüber veröffentlicht und sogar persönlich bei den Parlamentsdiensten interveniert haben. Das ist nicht selbstverständlich, denn gerade Journalisten und Blogger habe ich mit meiner Medienkritik die letzten Jahre oft genervt und manchmal auch richtig verärgert. Bei allem (produktiven und angebrachten) Streit unter Publizisten ist es eben wichtig, dass man, wenn es darauf ankommt, zusammensteht und sich gemeinsam gegen die von Steuergeldern lebenden Informationsverhinderer stellt.

Was wurde über Nachbern.ch veröffentlicht?

«Reaktionen auf den Entzug der Akkreditierung» (nachbern.ch)
«Reaktionen zu Blogposts von https://nachbern.ch/» (storify.com/ath_nikow)
«Nach Rauswurf: Blogger Ronnie Grob darf wieder ins Bundeshaus» (aargauerzeitung.ch, Lorenz Honegger)
«Medien und der Comment im Nationalratssaal» (medienspiegel.ch, Peter Studer)
«Der Rand ist ständig» (srf.ch, Gabriel Vetter, Audio, 5:48 Minuten)
«Medientalk: Nachbern.ch – eine Zwischenbilanz» (srf.ch, Audio, 35:25 Minuten)
«Leise Töne statt Berliner Schnauze» (swissinfo.ch, Petra Krimphove)

Oktober 25, 2015von Ronnie Grob
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Wahlveranstaltung

Tourismus und Energie, Abgottspon, Raclette in der Industriehalle

Ein Ausflug ins Wallis führt mich zu den Ständeratskandidaten des Kantons, zu einem Kirchenkritiker namens Abgottspon und in eine Industriehalle, in der Volksmusik gespielt und Fondue serviert wird.

Ich erinnere mich an den Vortrag von Migros-Lobbyist Martin Schläpfer. Die aggressivsten, charmantesten und besten Lobbyisten seien die Walliser, erzählte er. Im Vergleich mit ihnen seien die Ostschweizer geradezu unfähig, sich in Bern für ihre eigenen Belange einzusetzen. Stimmt das? Ich fahre ins Wallis, um das herauszufinden. Zunächst nach Brig, wo sich die vier Oberwalliser Ständeratskandidaten an einem Wahlpodium vor rund 100 Besuchern rhetorisch messen.

Brig, Wallis, 28. September 2015
Von links nach rechts: Priska Dellberg (SRF), Thomas Burgener (SP), Beat Rieder (CVP), Pierre-Alain Grichting (FDP), Franz Ruppen (SVP) und Silvia Graber (SRF).

Die Themenwahl des Abends überrascht den Unterländer. Es wird nicht etwa über das Thema gesprochen, welches die Schweizer wie kein anderes bewegt, die Migrationspolitik. Sondern über den Tourismus und die Energiepolitik (und ein bisschen auch noch über den starken Franken und den Wolf). Beim Tourismus ist die Lage klar, so schreibt es auch das SRF: «Weitgehend einig waren sich die Kandidaten bei der Frage, dass der Tourismus weitreichende Unterstützung brauche von der öffentlichen Hand.»

Und bei der Energiefrage? Nimmt kurzerhand der moderierende Journalist (Herold Bieler, «Walliser Bote») die auf dem Podium nicht existierende grüne Position ein und fragt, wo Energie gespart werden könnte. Die Positionen der Kandidaten sind erwartbar: Beat Rieder (CVP) ist auf der Linie seiner Bundesrätin: «Der Atomausstieg ist eine beschlossene Sache und wird bis 2050 Tatsache sein! 2019 wird Mühleberg abgestellt, danach fährt Beznau und Leibstadt herunter.» Franz Ruppen (SVP) ist gegen die Energiewende: «Ich bin gegen die Energiestrategie 2050. Noch niemand konnte mir aufzeigen, wie das funktionieren soll.» Thomas Burgener (SP) hofft auf erneuerbare Energien: «Photovoltaik wird sich durchsetzen. Es gibt keinen besseren Kanton für alternative Energien in der Schweiz als das Wallis.» Überraschend ist nur die Position von Pierre-Alain Grichting (FDP), der sich als der Liberale auf dem Podium explizit gegen eine Liberalisierung (des Strommarkts) ausspricht: «Wenn die Preise liberalisiert werden, dann kaufen die Firmen den billigen Strom aus Deutschland.»

Brig, Wallis, 28. September 2015

Die Veranstaltung ist vom Regionaljournal Bern Freiburg Wallis organisiert. Den anschliessenden, reichhaltigen Apéro bezahlt die SRG Wallis:

Brig, Wallis, 28. September 2015

Auch wenn sie redlich bemüht sind, sich voneinander abzugrenzen, unterscheidet die vier bürgerlichen Ständeratskandidaten (Rieder, Ruppen, Grichting und der nicht anwesende Jean-René Fournier (CVP)) wenig. Hier ihre vier Spider gemäss Vimentis:

Vimentis-Spider der vier bürgerlichen Ständeratskandidaten

Wer ist wer? Die Unterschiede sind marignal.

* * *

Am Tag darauf treffe ich mich am Mittag mit Oberstufenlehrer Valentin Abgottspon zu einer deftigen Käseschnitte in der «Walliser Wii Stuba». Er glaubt, es sei bei nicht wenigen Politikern im Wallis Zufall, in welcher Partei sie sind: «Die Parteizugehörigkeit wurde dadurch entschieden, in welchem Jahr sie mit Politik anfingen oder in welcher Partei der Vater war.» Das könnte die nicht liberale Position des Liberalen Grichting erklären.

Ist man im Wallis nicht auch arg protektionistisch? Der Eindruck, dass man sich zuerst als Walliser versteht, und dann als Schweizer, trüge nicht, sagt Abgottspon. Doch die Bündner beispielsweise seien da nicht anders: «Die Frage ist, ob dieses Selbstbewusstsein gerechtfertigt ist. Das Wallis ist eine strukturschwache Region und per Finanzausgleich Empfänger von Hunderten von Millionen Franken jedes Jahr. Vielleicht sollte man diese Zahlungen stoppen, bis das Wallis Grundrechte eingeführt hat. Denn im Wallis kann man bis heute auf der Steuerrechnung nicht erfahren, wie viel von den Steuern an die Kirche geht. Hier zahlt einfach die Gemeinde das Defizit, die Kirchensteuer wird nicht offen ausgewiesen. Wer aus der Kirche ausgetreten und ihr nichts bezahlen möchte, muss jedes Jahr einen Rückforderungsantrag stellen und erhält dann doch nicht das zurück, was sie tatsächlich kostet.»

Valentin Abgottspon

Im Oberwallis kralle sich die CVP an gestrige Gesellschaftsideen und weigere sich, im 21. Jahrhundert anzukommen, kritisiert Kirchenkritiker Valentin Abgottspon, der als Vize-Präsident der Freidenker-Vereinigung der Schweiz für eine saubere Trennung zwischen Kirche und Staat einsteht: «Als Lehrer war ich jedes Schuljahr mit 32 Terminen konfrontiert, die irgendwas mit der Kirche zu tun hatten. Ausserdem finde ich es sehr stossend, dass es Kruzifixe hat in den Gerichtssälen und den Schulen.» Abgottspon wurde 2010 an einer staatlichen Schule fristlos entlassen, weil er in seinem Schulzimmer kein Kruzifix aufhängen wollte und sich allgemein für säkulare Schulen einsetzte. Das Kantonsgericht hat die fristlose Kündigung inzwischen als ungerechtfertigt beurteilt.

Man dürfe die Walliser CVP nicht verwechseln mit der CVP, wie es sie im Rest der Schweiz gibt, sagt Abgottspon weiter: «Sie polemisiert gegen Nicht-Heterosexuelle und hat die Tendenz, die Kirche und die Religion in Schutz zu nehmen und hierbei nichts zu hinterfragen. Positiv ist, dass sie die absolute Macht verloren hat im Grossen Rat.» Allerdings gebe sich die SVP, an welche die CVP in den letzten Jahren viele Wähleranteile verloren hat, in diesem Kanton betont christlich-konservativ und schaffe es, noch fast katholischer als die CVP aufzutreten, so Abgottspon.

* * *

Am Abend dann fahre ich mit dem Postauto nach Gamsen, an den Wahlapéro der CVP des Bezirks Brig. Eine dreiköpfige Kapelle spielt Volksmusik. Die Herren in den weissen Hemden und den roten Gilets (mit Walliser Wappen drauf) sehen super aus und spielen hervorragend. Doch hätte ich sie nicht eher bei einem Anlass der SVP anzutreffen vermutet? Vielleicht spielen sie dort auch.

Gamsen, Wallis, 29. September 2015

Als ich um 19 Uhr pünktlich ankomme, ist die Industriehalle des halb-staatlichen und halb-privaten Stromversorgers Enbag (www.iischi-energie.ch) schon gut gefüllt, auch hier sind etwa 100 Personen anwesend. Sofort wird Weisswein und Rotwein ausgeschenkt und eifrig nachgeschenkt. Die meisten Besucher sind mit dem Auto da, und tatsächlich, um fahrtauglich wieder einzusteigen, wechseln viele ihr Getränk schon bald auf Wasser.

Gamsen, Wallis, 29. September 2015

Andreas Zenklusen (CVP), der durch den Anlass führt, erklärt mir gleich freiheraus, dass die CVP nichts zahlt für die Hallenmiete hier. Schliesslich profitiere doch auch die Enbag vom Anlass, das sei offensichtlich. Enbag-Verwaltungsratspräsident Renato Kronig darf dann auch zehn Minuten lang reden: «Es ist für uns eine Selbstverständlichkeit und eine Ehre, hier Gastrecht zu gewähren», sagt er. Und will dann vor der versammelten Politprominenz auch noch «ein paar Wünsche» äussern. Man müsse im Strommarkt europäisch integriert sein. Und die Bergkantone müssen zusammenstehen, um gegen den Druck auf den Wasserzins und auf die Preise der Wasserkraftwerke zu bestehen. «Ich wünsche euch viel Erfolg. Wenn ihr Erfolg habt, dann haben wir auch Erfolg.»

Gamsen, Wallis, 29. September 2015

Nach dem Anlass werden Hälften grosser Käselaiber angeschmolzen und auf Plastikteller geschabt. Ein herausragendes Raclette, serviert mit heissen Kartoffeln und Cornichons und Silberzwiebeln aus riesigen Gläsern beendet den Abend. Und überdeckt den Wein von vorher. Die Angst, den Führerausweis zu verlieren, regiert auch im Wallis.

Die Anlässe und Gespräche fanden am 28. und 29. September 2015 in Brig und Gamsen statt.

Oktober 8, 2015von Ronnie Grob
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Über mich


© Daniel Jung
Hallo, mein Name ist Ronnie Grob. Seit 2007 arbeite ich als Journalist und Blogger. Ich bin verantwortlich für Nach Bern! – eine Website, die den Wahlkampf um die Schweizer Parlamentswahlen am 18. Oktober 2015 verfolgte. Details dazu HIER.

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