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In eigener Sache

Rückblick auf Nachbern.ch 2015

Das Projekt Nachbern.ch begleitete 42 Tage lang den Wahlkampf 2015 in der Schweiz, vom 7. September bis zu den Wahlen am 18. Oktober. Was ist in dieser Zeit geschehen? Welche Erkenntnisse konnten gewonnen werden? Ein kleiner Rückblick – inklusive allem, was auch noch war.

Was habe ich veröffentlicht auf Nachbern.ch?

Nach der ersten Woche, die mich gegen meinen Willen mit der Aufarbeitung einer entzogenen Akkreditierung beschäftigte, produzierte ich auch noch das hier:

  • Insgesamt 40 gesammelte «Schweizer Wähler» (davon 13 weibliche)
  • 7 längere Berichte von Wahlveranstaltungen aus Neuenkirch und Sempach (LU), Zürich (ZH), Lausanne (VD), Brig und Gamsen (VS), Uetendorf (BE), Regensdorf-Watt (ZH) und Zollikofen (BE)
  • 4 Interviews zum Thema Lobbying
  • 1 Analyse zum SVP-Wahlkampf

Recht viel zu produzieren, auch alleine, ist also möglich. Doch auch wenn ich keine Mühe habe, Entscheidungen zu treffen, so war es aber gerade in der ersten Woche schon sehr fordernd, alles selbst machen zu müssen: Beiträge schreiben, Medienanfragen beantworten, mich um die Erneuerung der Akkreditierung bemühen; alleine die Betreuung der Sozialen Medien nahm fast die Hälfte aller Aktivitäten in dieser Zeit ein. Ich hätte mich da oft gerne mit einem Team besprochen und andere Meinungen eingeholt. Doch um ein Team zu finanzieren, hätte das Crowdfunding einen viel höheren Betrag erlösen müssen.

Was ging alles schief?

Die Entscheidung, keine Kameraausrüstung mitzuschleppen, sondern alle Fotos mit meinem angejahrten Smartphone (Samsung Note 3, gekauft im Frühling 2014) zu machen, war nicht unbedingt eine schlechte. Das Gerät war so stets zur Hand, die Qualität der Fotos ganz in Ordnung – solange die Sonne schien. In schlecht belichteten Räumen aber versagte das Gerät (oder der Fotograf), unscharfe Bilder waren dann die Regel. Die Versuche, per Bildbearbeitung zu retten, was noch zu retten war, gehören zu den Tätigkeiten, die ich wenn immer möglich zukünftig in die Hände von Profis geben möchte.

Bei 2 von insgesamt 56 Tonaufnahmen liess mich die Speicherkarte meines Audio-Aufnahmegeräts (Zoom H4nSP) im Stich, die Dateien konnten nicht geöffnet werden. Von einer weiteren Aufnahme, die ich auf einer Fussgängerbrücke über die Aare in Solothurn aufgenommen hatte, waren leider nur wenige Bruchstücke zu hören, weil der Wind ins Mikrofon blies und ich nicht an einen Windschutz gedacht hatte. Schade deshalb, weil der junge Mann der erste war, der sich zu einem Gespräch bereit zeigte, nachdem ich eine halbe Stunde lang vergeblich diverse Personen angesprochen hatte. Und schade deshalb, weil nicht nur das Foto ganz gut herausgekommen ist, sondern weil er auch eine interessante Art hatte, zu wählen: Er schrieb die Namen der ersten sechs Kandidaten, die ihm Smartvote.ch vorgeschlagen hatte, einfach 1:1 ab und notierte sie auf seinem Wahlzettel.

Wähler in Solothurn

Meine Idee, handschriftliche Postkarten an die Unterstützer zu versenden, wäre gar nicht so schlecht gewesen. Hätte es der notorische Laptop-Arbeiter Grob nicht in den letzten Jahren verlernt, von Hand zu schreiben. Zusammen mit einer leicht grobmotorischen Veranlagung sind nun Postkarten herausgekommen, die von den Empfängern im besten Fall sogar entziffert werden können. Viel «Spass»!

Wie ging das nochmals mit diesem «Eklat»?

Wer im Parlament Parlamentarier, die sich selbst fotografieren, fotografiert, ohne vorher eine explizite Erlaubnis einzuholen, dem wird die Akkreditierung entzogen. Soweit die Erkenntnis an Tag 3 von Nachbern.ch. Wer die Story dazu nachlesen will, kann das in diesen Beiträgen:

«Die Debatte im Nationalrat ist tot» (Nachbern.ch, 8. September 2015)
«Per sofort kein Zutritt mehr zum Bundeshaus für Nachbern.ch» (Nachbern.ch, 9. September 2015)
«Offener Brief an Mark Stucki, Bereichsleiter Information, Parlamentsdienste, Bern» (Nachbern.ch, 10. September 2015)
«Reaktionen auf den Entzug der Akkreditierung» (Nachbern.ch, 10. September 2015)

Was bleibt mir von der Geschichte in Erinnerung?

  • Dass Chantal Galladé (SP) bis heute behauptet, ich würde «lügen» (Screenshot) und wolle mit einer «falschen und bösartigen Unterstellung» (Screenshot) etwas erreichen. Eine Anfrage für ein klärendes Interview hat sie nicht beantwortet. Ich bleibe vollumfänglich bei meiner Darstellung und habe nichts zurückzunehmen.
  • Dass mir die «Sonntagszeitung» allen Ernstes vorwarf, mich selbst zu inszenieren, weil ich nicht brav akzeptieren wollte, dass mir der Zugang zum Bundeshaus entzogen wird. Die Story von Barnaby Skinner enthielt nicht nur vier faktische Fehler, die erst auf ausdrückliche Nachfrage korrigiert wurden. Sie ist – neben der legitimen und von mir akzeptierten kritischen Sichtweise («schoss sich auf Personen ein», «die grössten Verlierer sind deshalb die 101 Personen, die Grobs Berichterstattung mit 10 430 Franken unterstützen») – auch deshalb ein Tiefpunkt, weil sich hier ein Journalist gegen einen anderen auf die Seite der Staatsmacht stellte («der falsche Winkelried», «eine Posse sondergleichen», «missachtete die politische Debatte»). Ein Journalist, der einen anderen einen «falschen Winkelried» nennt, nur weil dieser unabsichtlich einen Punkt eines staatlichen Merkblatts vergessen hatte, bewegt sich auf sehr dünnem Eis.
  • Dass die Parlamentsdienste fähig sind zur argumentativen Akrobatik. Mir schreiben sie «Sie haben ab sofort keinen Zutritt mehr», was eine zeitlich unbeschränkte Sperre bedeutet. Die nachhakenden Journalisten dagegen informieren sie grossherzig, dass ich absolut problemlos jeden Tag wieder eine Akkreditierung erhalten könne. Der gutgläubige Barnaby Skinner etwa schrieb: «Der Parlamentsdienst sagt auch: Grob könne jederzeit einen neuen Antrag für eine Akkreditierung stellen. Der Ausschluss betreffe nur die Tage, die er bereits gemeldet habe.» Bei mir fragte er nicht nach. Tatsächlich wurde mir von den Parlamentsdiensten am 28. August 2015 per E-Mail eine tägliche Akkreditierung für die Zeit vom 6. bis 25. September 2015 zugesichert.
  • Dass man als Journalist eine Bewilligung zum Fotografieren der Parlamentarier von der Journalistentribüne aus auch dann einholen muss, wenn die Fotografen neben einem auf der Journalistentribüne Parlamentarier fotografieren – und wenn die Parlamentarier, die unter einem sitzen, einander fotografieren. De facto durfte ich vom 9. bis zum 14. September nicht ins Bundeshaus. Nach einer kurzen persönlichen Aussprache mit Mark Stucki von den Parlamentsdiensten wurde mir der Zugang ab dem 15. September 2015 wieder gewährt. Die Unterredung endete schon nach kurzer Zeit ohne jegliche Auflagen, aber mit der Zusicherung meinerseits, das Merkblatt zukünftig in allen Punkten einzuhalten. Am 17. September geisterte ich dann sogar als Gespenst durch das Bundeshaus, denn Mark Stucki schrieb mir per E-Mail:

    «Ich wurde kontaktiert, weil Sie – dem Vernehmen nach – heute auf der Pressetribüne des Ständerates waren und fotografiert hätten.»

    Ich schrieb ihm postwendend zurück:

    «Ich war heute bisher noch nicht im Parlament, also auch nicht auf der Pressetribüne des Ständerats. Falls jemand fotografiert hat heute, so kann ich ihnen zusichern, dass ich es nicht war.»

    Persönlich glaube ich, es würde den Parlamentsdiensten gut anstehen, in ihrem unterwürfigem Eifer, den Parlamentariern zu Diensten zu stehen, weder den Bürger noch das freie Wort zu vergessen. Denn sowohl die Parlamentarier als auch die Parlamentsdienste stehen in erster Linie im Dienste des Bürgers.

Wie war der Wahltag im Bundeshaus?

Langweilig. Und mit einem sehr bescheidenen Aufmarsch an Politikern. Doch vielleicht ist es ganz gut so, dass sich die Journalisten am Wahltag im Bundeshaus langweilen, während die Menschen der Schweizer Politik in ihren Kantonen zusammenkommen oder gleich zu Hause bleiben. In der Abwägung, ob das Fernsehen zukünftig aus Zürich-Leutschenbach oder aus dem Bundeshaus berichtet, sollte ganz simpel das tiefere Budget den Ausschlag geben. Denn man kann die «Elefantenrunde» überall in der Schweiz machen. Also am besten in einem kostengünstigen Fernsehstudio. In Zürich. In Lugano. Oder in Genf.

Wahltag im Bundeshaus am 18. Oktober 2015

«Wir können keine minimale Bandbreite für diesen Internetzugang garantieren», stand im Infoblatt der Parlamentsdienste für den Wahltag. Die TV-Übertragung per Stream im Kommissionszimmer der Deutschschweizer Journalisten funktionierte dann tatsächlich nicht, die dort schreibenden Journalisten wurden über Stunden mit einem ruckelnden Stream gequält; ein zu Hilfe gerufener Techniker konnte das Problem nicht lösen. Also schaute man in das TV-Gerät des «Grand Café des Alpes», zusammen mit den SRG- und SRF-Spitzen, welche die Wahlergebnisse emotionslos und mit stoischer Ruhe aufnahmen.

Wahltag im Bundeshaus am 18. Oktober 2015

Das Lagerfeuer TV SRF funktioniert zumindest am Wahltag noch perfekt. Die Deutschschweizer Journalisten drängen sich um den Bildschirm, auf dem SRF1 läuft. Die Westschweizer Journalisten um den Bildschirm vis-à-vis, auf dem RTS1 läuft. Die Journalisten sind übrigens inzwischen so modern, dass sie die Input-Informationen per Second Screen ergänzen (oft: Twitter). Beim schriftlichen Festhalten von Informationen jedoch ist die Technik erst sehr vereinzelt verbreitet. Sehr viele Bundeshausjournalisten machten sich Notizen mit einem Stift, auf einem Notizblock aus Papier.

Überwunden wird die Sprachgrenze des Röstigrabens erst, als sich die Journalisten am Abend Wein ausschenken lassen. Alle angebotenen Esswaren und Getränke waren übrigens für die Anwesenden kostenlos, Bezahlen nicht möglich. Finanziert wurde das vom Verein Hauptstadtregion Schweiz, wie die Parlamentsdienste auf Anfrage mitteilen, also indirekt vom Steuerzahler.

Wie war der Wahlkampf?

Dass die SVP zulegen und sich die SP auf Kosten der Grünen behaupten würde, das hatte ich auch ohne repräsentative Umfragen aufgrund meiner Gespräche mit den «Schweizer Wählern» vermutet; die ebenfalls Wähleranteil einbüssenden Mitteparteien GLP und BDP wurden dabei kaum je genannt. König dieses Wahlkampfs und stets im Fokus der Aufmerksamkeit war die SVP: Sie trieb die anderen Parteien vor sich her, die hauptsächlich reagierten, nicht agierten. Die neue, weichere, freundlichere Form des Wahlkampfs, wie sie diese Partei nun erstmals betrieben hat (vgl. «Der Wahlkampf der SVP 2015: Im Stil freundlich, in der Sache hart»), hat Früchte getragen: Der Anteil der Frauen an der Wählerschaft konnte stark gesteigert werden. Die neu hinzugekommenen Wählerinnen und Wähler setzen dann aber auch neue Akzente bei den Kandidaten und wiesen langjährige Aushängeschilder der Partei wie Hans Fehr (SVP), Roland Borer (SVP) oder Christoph Mörgeli (SVP) aus dem Parlament. Man kann wohl davon ausgehen, dass auch ein Toni Bortoluzzi (SVP) oder ein Max Binder (SVP) nicht wieder gewählt worden wären.

Hatte Nachbern.ch denn überhaupt Leser?

Ja. In der ersten Woche sehr viele, danach im erwartbaren Ausmass:

Zugriffszahlen Nachbern.ch

Darf man Berichterstattung als Belohnung anbieten?

Im Crowdfunding habe ich Belohnungen in Form von Berichterstattung in Aussicht gestellt, falls ein bestimmter Betrag gespendet werden sollte. Jemand bezahlte 500 Franken, damit ich «unabhängig und kritisch» von einer «Wahlkampf-Veranstaltung für die National- und Ständeratswahlen 2015» berichte. Und jemand bezahlte 1000 Franken für einen Drink inklusive Interview auf Nachbern.ch. Dass ich solche Angebote überhaupt mache, rief Kritik hervor, zum Beispiel in einem Interview auf Persoenlich.com. Und in Tweets:

@ronniegrob Kann man schon machen. Aber schade, wenn Zahlungsbereitschaft ausschlaggebend ist für Präsenz auf Deiner Seite.

— Rahel Walser (@Reidschl) July 30, 2015

@nachbern ich finds problematisch, ja. Weil man sich so Berichterstattung sichern kann. Auch die Auswahl gehört zur journ. Unabhängigkeit.

— Ruben Schönenberger (@rubensch) July 30, 2015

Nun ist beides nicht zustande gekommen. Im ersten Fall nicht, weil die Person einfach nur 500 Franken spenden wollte und die Belohnung versehentlich reklamiert hatte. Im zweiten Fall nicht, weil die Person dann doch nicht interviewt werden wollte.

Was war auch noch? (I)

Bei allerschönstem Spätsommerwetter war ich auch noch am Doppel-Wahlkampfevent «Zmörgeli mit Mörgeli» / «Ghackets mit Matterhörnli» von Christoph Mörgeli (SVP) und Thomas Matter (SVP) auf dem Huebhof in Bachs im Kanton Zürich. Bei musikalischer Begleitung von Willis Wyberkapelle wurde kostenlos ein gutes Frühstück serviert. Und dann gleich noch ein Mittagessen.

«Zmörgeli mit Mörgeli» am 12. September 2015 in Bachs

Aufgefallen am Anlass ist mir ein Mann im Publikum, der fast alles, was gesagt wurde, kurz kommentierte. Hier ein paar Müsterchen seiner Kommentare:

Matter: «87 Prozent der Asylbewerber beziehen Sozialhilfe.»
Mann aus dem Publikum: «Super!»
Matter: «Wir sollten kein Bargeld mehr verteilen, sondern nur noch Sachleistungen.»
Mann aus dem Publikum: «Genau!»
Mörgeli: «Wir sind ja ihre Knechte, und sie sind unsere Meister.»
Mann aus dem Publikum: «Schön wär’s!»
Matter: «Wann haben Sie zuletzt einen Anwalt vom Staat gestellt erhalten?»
Mann aus dem Publikum: «Ich habe noch nie etwas erhalten.»

«Zmörgeli mit Mörgeli» am 12. September 2015 in Bachs

Was war auch noch? (II)

Ich war an einem Fussball-Match auf dem Sportplatz Bodenweid in Bümpliz, welchen der FC Nationalrat gegen das Swisscoach-Team mit 0:1 verlor, unter anderem, weil Stürmer Fabio Regazzi (CVP) auch die besten Chancen versiebte. Die weiteren Offensivkräfte Christian Wasserfallen (FDP) und Hannes Germann (SVP) agierten allerdings auch nicht glücklicher. Ein Spielbericht lässt sich hier nachlesen. Auf dem Bild sehen wir einen Eckball des FC Nationalrat, links aussen mit der Rückennummer 8 steht Thomas Minder (parteilos):

FC Nationalrat

Was war auch noch? (III)

Der traditionelle Herbstsessions-Anlass der Schweizerischen Public Affairs Gesellschaft (SPAG) am 15. September 2015 im Hotel Bellevue in Bern, an dem DEZA-Sonderbotschafter Eduard Gnesa redete:

SPAG-Podiumsdiskussion am 15. September 2015

Auf dem Podium lieferten sich anschliessend Silvia Schenker (SP), Ruth Humbel (CVP), Oskar Freysinger (SVP) und Doris Fiala (FDP) eine zerfahrene Diskussion zum Thema «Migration über das Mittelmeer – Herausforderung für Europa und die Schweiz». Auf peinliche Weise emotional aneinander gerieten vor allem FDP und SVP: Fiala sprach bei jeder Gelegenheit dazwischen und Freysinger schaffte es, trotz mehrerer Nachfragen kein Wort zu äussern zur aktuellen Asylgesetzgebung. Von den Leuten auf dem Podium am ehesten einen vernünftigen Eindruck machte in dieser Diskussion Silvia Schenker, die von der Wichtigkeit sprach, dass die Asylgesetzrevision durchgebracht und nun umgesetzt werde. So gebe es auch in Zukunft geordnete Verhältnisse: «Die Bedingungen sind nicht erfüllt, als dass die Schweiz wieder Grenzkontrollen einführen müsste.» Der Diskussion nicht dienlich war es, dass die Moderatorin des Gesprächs, Anja Burri vom Tages-Anzeiger, den SVP-Vertreter wie einen Paria behandelte und ihn nicht angemessen zu Wort kommen liess.

Wem gebührt Dank?

Allen Spendern und Unterstützern. Allen Lesern und Kommentierern. Und überhaupt allen, die nach meinem Rausschmiss aus dem Bundeshaus solidarisch mit mir waren, Berichte darüber veröffentlicht und sogar persönlich bei den Parlamentsdiensten interveniert haben. Das ist nicht selbstverständlich, denn gerade Journalisten und Blogger habe ich mit meiner Medienkritik die letzten Jahre oft genervt und manchmal auch richtig verärgert. Bei allem (produktiven und angebrachten) Streit unter Publizisten ist es eben wichtig, dass man, wenn es darauf ankommt, zusammensteht und sich gemeinsam gegen die von Steuergeldern lebenden Informationsverhinderer stellt.

Was wurde über Nachbern.ch veröffentlicht?

«Reaktionen auf den Entzug der Akkreditierung» (nachbern.ch)
«Reaktionen zu Blogposts von https://nachbern.ch/» (storify.com/ath_nikow)
«Nach Rauswurf: Blogger Ronnie Grob darf wieder ins Bundeshaus» (aargauerzeitung.ch, Lorenz Honegger)
«Medien und der Comment im Nationalratssaal» (medienspiegel.ch, Peter Studer)
«Der Rand ist ständig» (srf.ch, Gabriel Vetter, Audio, 5:48 Minuten)
«Medientalk: Nachbern.ch – eine Zwischenbilanz» (srf.ch, Audio, 35:25 Minuten)
«Leise Töne statt Berliner Schnauze» (swissinfo.ch, Petra Krimphove)

Oktober 25, 2015von Ronnie Grob
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Wahlveranstaltung

Drei Zürcher bei den Romands – und warum Roger Köppel ein SVP-Bundesratskandidat werden könnte

Die Zürcher SVP-Aushängeschilder Blocher, Köppel und Mörgeli treten an einem Anlass der UDC Vaud in Lausanne auf und sprechen einen Abend lang Französisch. Die Frage ist: Wohin geht es mit Roger Köppel nach den Wahlen?

Comment régler le chaos?

Die Sicherheitsvorkehrungen für den Anlass im Kongresszentrum Palais de Beaulieu in Lausanne sind scharf. Als ich am Eingang zum Anlass dem hinzugezogenen Chef der Security ein E-Mail von Claude-Alain Voiblet (SVP) zeige, in dem er mir die Akkreditierung für den Event zusichert, lacht er nur, und sagt, so ein E-Mail, das könne doch jeder hier zeigen. Bald darauf werde ich dann aber doch zur Medienkonferenz zugelassen. Als mich Roger Köppel (SVP) erkennt, ruft er mir gleich auf Französisch und im Scherz zu, ich dürfe dann hier keine Fotos machen, sonst würde ich rausgeschmissen (vgl. «Per sofort kein Zutritt mehr zum Bundeshaus für Nachbern.ch»).

Roger Köppel, Christoph Blocher und Christoph Mörgeli an einem SVP-Event in Lausanne am 2. Oktober 2015.

Eine Journalistin will wissen, wie das Asylchaos denn nun konkret aussehe, sie könne sich das nicht vorstellen. Blocher antwortet, dass das Schengen/Dublin-System nicht mehr funktioniere. Es sei halt alles relativ. Was für einen Italiener vielleicht noch kein Chaos sei, ist für einen Schweizer schon längst ein Chaos. Ob es Gemeinsamkeiten gebe mit der französichen Partei Front National? Nein, antwortet Blocher, das sei eine linke Partei mit etatistischen Lösungen.

Christophe #Blocher #UDC: "Nous sommes différents du @FN_officiel. Eux veulent plus d'État, ils sont de gauche" @la_tele

— Nasrat Latif (@NasratLatif) October 2, 2015

Es sei das dritte oder vierte Mal, dass Blocher in der Romandie ist, erzählt Organisator Voiblet den anwesenden Journalisten, von denen viele jung sind und einen Migrationshintergrund zu haben scheinen. Er sei sehr froh, diese drei Persönlichkeiten hier zu haben, was natürlich sofort die Frage hervorruft, weshalb drei Zürcher hier auftreten. Hat es denn keine attraktiven Kandidaten unter den Romands? Die SVP des Kantons Waadt wurde in den letzten vier Jahren von Bauern und Winzern vertreten, und einem Agraringenieur. Eine ausdrückliche Unterstützung erhalten die bisherigen Kandidaten André Bugnon (SVP), Jean-Pierre Grin (SVP), Guy Parmelin (SVP) und Pierre-François Veillon (SVP) keine. Auf der Website sind die wieder antretenden Bisherigen zusammen mit den neuen Kandidaten alphabetisch aufgeführt. Köppels «Weltwoche» beklagt sich zudem in der Titelgeschichte der aktuellen Ausgabe über den fehlenden Liberalismus vieler in der SVP: «Als schwer zu überzeugen gelten die meisten Romands», steht beispielsweise darin. Das Abstimmungsverhalten von Parmelin wird im Artikel gleich zweimal erwähnt.

Auf die Bühne kommen sie alle nicht heute. Die Kandidaten der Jeunes UDC Vaud jedoch schon:

Roger Köppel, Christoph Blocher und Christoph Mörgeli an einem SVP-Event in Lausanne am 2. Oktober 2015.

Bei ihnen sind die Zürcher gefragt als Autogrammschreiber:

Affiche dédicacée par Blocher, @koeppel @ChrMoergeli #CHvote #UDC #JUDC #cde pic.twitter.com/hzmx6N7P6o

— Karlen&Petit2015 (@KarlenPetit2015) October 2, 2015

Apropos Weltwoche: Blocher bedauert an der Medienkonferenz, dass es in der Romandie nicht ein Journal wie die Weltwoche gebe, vielleicht müsse sich eines gründen. Einige Ausgaben des Wochenmagazins werden nach dem Anlass verteilt, zusammen mit dem Parteiprogramm und einer SVP-Zeitung mit dem Titel «Edition Speciale». Das «Spezialdossier Asyl» der Weltwoche ist gleich der für die Journalisten zusammengestellten Medienmappe beigelegt. Nach dem Anlass führe ich mit einem Walliser ein Kurzinterview für die Rubrik «Schweizer Wähler». Als ich seinem schnellen Französisch kaum folgen kann, lacht er, auch er sei dazu gezwungen, besser deutsch zu lernen, wenn er die Weltwoche lesen und verstehen wolle.

Roger Köppel, Christoph Blocher und Christoph Mörgeli an einem SVP-Event in Lausanne am 2. Oktober 2015.

Roger Köppel, Christoph Blocher und Christoph Mörgeli an einem SVP-Event in Lausanne am 2. Oktober 2015.

Die in die Halle strömenden Gäste sehen auch nicht anders aus als SVP-Anhänger in der Deutschschweiz; viele sind grauhaarig und wirken eher rural als urban. Sie brauchen aber eine Zutrittsberechtigung, um überhaupt hereinzukommen. Haben sie keine, werden sie von zwei «Securitas»-Angestellten – einer weissen Frau und einem schwarzen Mann – genaustens untersucht. Der Saal dann füllt sich mit ein paar Hundert Personen etwas mehr als zur Hälfte. Wenn Blocher auf «Tele Blocher» erzählt (ab Minute 17:30), dass seine Wahlveranstaltungen «ausnahmslos ganz gut besucht» und «immer voll» sind und ausserdem von «sehr vielen jungen Leuten zwischen 18 und 30» besucht werden, dann ist das – zumindest was diesen Anlass in Lausanne angeht – nicht haltbare Wahlpropaganda.

Roger Köppel, Christoph Blocher und Christoph Mörgeli an einem SVP-Event in Lausanne am 2. Oktober 2015.

Zuerst wird das Partei-Musikvideo «Welcome To SVP» gezeigt, was eine erstaunlich grosse Erheiterung auslöst. Offenbar haben es die meisten Leute hier noch nie gesehen. Obwohl der Song auf Schweizerdeutsch ist, kommt er gut an. Überhaupt ist es ein äusserst dankbares Publikum. Blocher muss nur «Madame Sommaruga» sagen, und schon lachen die Leute. Man scheint sich hier einig zu sein, dass die EJPD-Vorsteherin und Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (SP) eine Lachnummer ist.

Die drei Zürcher sprechen alle frei und gut Französisch, auch wenn ihnen natürlich nicht immer alle Ausdrücke sofort präsent sind. Christoph Mörgeli (SVP) muss seine Sprachkenntnisse allerdings kaum beweisen. Er liest seinen historischen Vortrag, der den ganz grossen Bogen von der Bibel und dem Bundesbrief über die Hugenotten und die Uhrenindustrie bis zu den Flüchtlingen im 2. Weltkrieg schlägt, vom Blatt ab und erhält keine Fragen, weder an der Medienkonferenz noch am Anlass.

Roger Köppel, Christoph Blocher und Christoph Mörgeli an einem SVP-Event in Lausanne am 2. Oktober 2015.

Christoph Blocher (SVP) spricht die Sprache spätestens seit seiner Zeit als Bundesrat. Und Roger Köppel (SVP)? Er muss geübt haben. Die drei teilen sich den Abend in eine historisch-theoretische Rede, eine Unterhaltungsrede und eine Kampfrede auf: Historiker Mörgeli legt die Grundlage mit einem ernsten, historischen Unterbau. Danach lockert Altstar Blocher das Publikum als freier Unterhaltungsredner auf – und erhält schon in den ersten Minuten viele Lacher. Zuletzt folgt dann die Kampfrede von Roger Köppel, die, auch wenn sie keineswegs brüllend gehalten wird, mehrfach von spontanem Applaus unterbrochen wird; zum Beispiel, als er sagt, die Politiker in Bern würden in einem Paralleluniversum leben. Er glaube nicht, dass es Departementschefin Simonetta Sommaruga und Staatssekretär Mario Gattiker «können», man müsse das Personal wechseln dort. «Wenn man die Probleme lösen will, dann muss man die richtigen SVP-Leute nach Bern schicken! Es braucht Leadership in Bern!» Grosser Applaus am Ende, vielleicht der grösste Applaus des Abends.

Es stellt sich die Frage, wohin es mit Roger Köppel nach den Wahlen geht. Ist es ein Zufall, dass er Französisch geübt hat? Dass er als Kandidat für den Zürcher Nationalrat auf Listenplatz 17 in Lausanne Vorträge hält? Dass er sowohl bei der Medienkonferenz als auch beim Anlass den Platz in der Mitte, zwischen Mörgeli und Blocher, erhält? Dass er von Leadership redet, die es in Bern dringend brauche? Hier mal vier Szenarien:

1. Köppel wird nicht Nationalrat
Möglich, aber unwahrscheinlich. Durch seine Bekanntheit wird er von vielen Panaschier-Stimmen profitieren, die es für eine lustige Idee halten, ihn ins Parlament zu wählen.

2. Köppel wird in den Nationalrat gewählt und bleibt Nationalrat
Möglich. Aber mich würde es eher überraschen, wenn er es vier Jahre lang aushält, in den Kommissionen zu sitzen und im Saal die Abstimmungsknöpfe zu betätigen.

3. Köppel wird in den Nationalrat gewählt und tritt nach kurzer Zeit zurück
Für die Partei eine sehr gute Lösung. Sie kann mit ihm neue Wählerschichten für die Zürcher SVP-Liste erschliessen und zieht nach dem Rücktritt einfach einen Kandidaten nach.

4. Köppel wird in den Nationalrat gewählt und tritt an zur Bundesratswahl
Ich halte es für nicht unwahrscheinlich, dass der äusserst ehrgeizige Köppel nach einem SVP-Wahlsieg als Bundesratskandidat präsentiert wird. Als einer, der – so das Parlament will – als Bundesrat aufräumt mit dem angeblichen «Asylchaos» im Departement Sommaruga. Oder der – so das Parlament nicht will – die Partei in die Opposition führt.

Roger Köppel, Christoph Blocher und Christoph Mörgeli an einem SVP-Event in Lausanne am 2. Oktober 2015.

Die SVP-Unternehmer werden sich einig sein, dass es für den Management-Job des Bundesrats vor allem unternehmerische Qualitäten benötigt und nicht zwingend Erfahrung in der Politik. Vielleicht hören wir davon in der Elefantenrunde am Wahlabend. Oder dann in vier oder acht Jahren. Konkret von der «Schweiz am Sonntag» auf eine Kandidatur als Bundesrat angesprochen, antwortete Köppel mit einem Zitat, das angeblich von Golo Mann stammt: «Überschätzen Sie mich heute nicht, auf dass Sie mich morgen nicht unterschätzen.» Das Zitat kann mannigfaltig gedeutet werden. Aber wäre die Idee völlig abwegig – hätte sie Köppel nicht einfach dementieren können? Ob die Bundesrats-Findungskommissionen der SVP und die in den Medien von Seiten der SVP genannten Kandidaten mehr Nebelpetarden oder mehr Realität waren, wird wohl schon kurz nach den Wahlen Klarheit.

Denkbar sind auch Zweiertickets mit Kandidaten, die für das Gedankengut der Blocherschen SVP stehen, also Blocher selbst, seine Tochter Magdalena Martullo-Blocher (SVP) oder ein anderer in den letzten Jahren zu nationaler Bekanntheit aufgebauter Kandidat. Zu beachten sind auch die Sprachregionen: ein Rücktritt des Zürcher Bundesrats Ueli Maurer (SVP), von dem sich die Blochersche SVP irgendwie mehr versprochen hat, würde den Weg für Zürcher Kandidaten frei machen.

Der Anlass der UDC Vaud fand am 2. Oktober 2015 im Palais de Beaulieu in Lausanne statt.

Nachtrag, 13. Oktober 2015, 10 Uhr:
Die Möglichkeit, dass Ueli Maurer (SVP) zurücktreten und zwei neuen Kandidaten Platz machen könnte, wird heute auch vom „Blick“ thematisiert:

"Blick" vom 13. Oktober 2015

Oktober 12, 2015von Ronnie Grob
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Über mich


© Daniel Jung
Hallo, mein Name ist Ronnie Grob. Seit 2007 arbeite ich als Journalist und Blogger. Ich bin verantwortlich für Nach Bern! – eine Website, die den Wahlkampf um die Schweizer Parlamentswahlen am 18. Oktober 2015 verfolgte. Details dazu HIER.

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