Michael Gehrken ist selbständiger Lobbyist in Bern. Als ehemaliger Journalist, Kommunikationsberater und Amtssprecher kennt er die Kommunikationswege in Bern bestens. Im Interview mit Nachbern.ch erzählt er, wie man einen Journalisten dazu bringt, im Sinne des eigenen Auftraggebers zu schreiben und weshalb Politikjournalisten von Sonntagszeitungen nicht vor Donnerstag gestört werden möchten.

Ihre Firma heisst Competentia, ihre Anrufe werden aber von Furrer-Hugi entgegengenommen. Wie das?
Competentia – Dr. Michael Gehrken ist eine Einzelfirma, ich bin selbständig erwerbend. Zusammen mit Nationalrat Lorenz Hess (BDP) und Rob Hartmans bin ich als einer von drei aktiven Partnern beteiligt an der Furrer Hugi Advisors AG, welche eng mit der im selben Hause angesiedelten Agentur furrerhugi kooperiert. Es handelt sich dabei um ein Konstrukt wie in einer Anwaltskanzlei, wir haben die Zusammenarbeit vertraglich geregelt: Wenn die Kommunikationagentur furrerhugi spezifisches Know-How braucht aus unserem Themenfeld, dann kommen sie auf uns zu und ziehen uns bei. Andererseits beziehen wir Dienstleistungen bei furrerhugi.

Wir haben uns im Hotel Bellevue an einer von der SPAG organisierten Podiumsdiskussion zum Thema Asyl kennengelernt. Was haben Sie gestern an diesem Anlass gemacht? Was haben Sie gearbeitet?
Politik hat sehr viel mit Informationsaustausch zu tun, also mit dem Abholen und dem Vermitteln von Informationen. Dafür gibt es die klassischen Medienkanäle. Aber einer der Verbreitungskanäle ist natürlich auch der persönliche Kontakt. Ich war aus Interesse am Thema am Anlass, aber grundsätzlich geht es dabei natürlich auch immer um die Pflege von Netzwerken. Das persönliche Gespräch ist eine Ebene, die ich nicht missen möchte – denn wie wäre das, wenn wir nur noch alle vor den Computern sitzen würden? Sie und ich sind das beste Beispiel dafür, dass so ein Anlass Sinn macht – wir haben uns dabei kennengelernt.

Diese Netzwerke müssen sich ja dann auszahlen. Man muss die Leute, die man kennenlernt, doch irgendwann dazu bringen, etwas zu tun, das die eigenen Geldgeber befriedigt.
Nein, nicht zwingend. Netzwerke werden gepflegt, weil die Leute an sich ein Bedürfnis zum sozialen Austausch haben – an solchen Anlässen tummeln sich viele begnadete Netzwerker. Die Frage ist, ob man diese Netzwerke auch im Auftrag für andere einsetzt. Und das ist in meinem Fall durchaus so, indem ich in diesen Netzwerken auch offen Anliegen von Mandanten vertrete.

Wenn jemand Geld gibt, dann will er ja in der Regel auch etwas dafür.
Als ich mit Competentia anfing vor einem Jahr, hatte ich schon ein relativ grosses Beziehungsnetz. Und viele Leute aus meinem Umfeld sind dann an mich herangetreten, ob ich nicht Kontakt schaffen könnte zu diesen oder jenen Personen. Hier nehme ich also so etwas wie eine Vermittlerfunktion ein. Die Problematik dabei ist: Wo leistet man einen kostenlosen Freundschaftsdienst? Und wo beginnt der Aufwand, für den man auch etwas verlangen muss?

Aber ihre Klienten erwarten doch etwas von Ihnen?
Sie erwarten von mir zu Recht, dass ich ihre Interessen vertrete, dass ich ihre Anliegen in die Politik einbringe.

Und das läuft dann über diese Netzwerke?
Das ist so – unter anderem. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Auf dem Höhepunkt der Diskussionen zum Lobbying im Fall Markwalder während der Sommersession habe ich mit einer SP-Nationalrätin etwas auf der Bellvue-Terrasse gegessen. Als ich ihr gegenüber meinen Kunden «strasseschweiz – Verband des Strassenverkehrs» deklarierte, kritisierte sie das als schädliche Einflussnahme. Gleichzeitig aber bezeichnete sie mein Lobbying für meinen Kunden «Alliance Animale Suisse» als gutes Lobbying. Das zeigt mir auf, dass die Beurteilung von Lobbying oft eine Frage des Standpunkts ist. Jeder Lobbyist muss sich überlegen, welche Aufträge er annehmen will und welche nicht. Das ist ein moralisch-ethischer Entscheid.

Gibt es denn Mandate, die Sie nicht annehmen würden?
Also ich persönlich hätte ein Problem damit, Diktatoren zu vertreten. Aber jeder hat das Recht, seine Interessen zu vertreten, ich mag hier niemanden verurteilen.

Gemäss Lebenslauf waren sie sechs Jahre als Journalist tätig, dann PR-Berater und Amtssprecher, nun Lobbyist. Sagen Sie mir doch: Wie kann man einen Journalisten am Leichtesten um den Finger wickeln?
Man kann sie nicht um den Finger wickeln. Man weiss aber, welche Journalisten persönlich an welchen Themen interessiert sind. Mit News in diesen Bereichen findet man den Zugang zu ihnen und kann etwas Existierendes in ihr Blickfeld rücken.

Was ist das für ein Gefühl, wenn Sie erfolgreich sind? Also wenn Sie mit einer Information an einen Journalisten herantreten, der diese richtig aufnimmt und widergibt und Ihre Story mit dem richtigen Spin auf der Titelseite einer Sonntagszeitung landet?
Es ist eine gewisse Befriedigung, selbstverständlich. Ich kann ganz offen sein: Letzten Sonntag hatte ich in einer Sonntagszeitung eine grössere Story drin, die am Montag auch von anderen Zeitungen aufgenommen wurde.

Können Sie sagen, welche das ist?
Das möchte ich lieber nicht sagen. Aber erstens hat das den Journalist befriedigt, weil er etwas gebracht hat, das am Montag Widerhall gefunden hat. Die Story hatte ganz offenbar eine gewisse Relevanz, was für den Journalist nicht unwichtig ist. Zweitens hat es mich befriedigt, weil die Story im Sinn des Auftraggebers war. Und drittens hat es den Auftraggeber befriedigt – sehr!

Und wenn die Story lesenswert war, dann war doch auch der Leser befriedigt.
Das ist durchaus so. Zumal die Story gut und mit verschiedenen Meinungen aufgearbeitet war.

Haben es gewisse Journalisten von Sonntagszeitungen nicht sehr einfach? Ich frage mich manchmal, was die während der Woche machen.
Ohne wertend zu sein: Ich weiss von Leuten bei Sonntagsmedien, die sehr offen darum bitten, nicht vor Donnerstagmittag über gewisse Geschichten zu reden.
Früher war es so bei den Sonntagsmedien: Am Montag war frei. Am Dienstag dann haben die Journalisten angefangen, etwas zu recherchieren. Doch das Problem ist, dass wer recherchiert, auch riskiert, dass jemand Wind kriegt von diesen Recherchen. Man wird versuchen, zu übersteuern, also zu erreichen, dass die Recherchen nicht zu einer Geschichte werden.
Als ich noch bei der Bundesverwaltung tätig war, war es durchaus üblich, am Freitagnachmittag um 16 Uhr eine Medienmitteilung zu verschicken, wenn sich abgezeichnet hat, dass eine Story in den Sonntagsmedien erscheint. So war die Story am Samstag in den Medien und am Sonntag erledigt. Der Journalist ist folglich gezwungen, seine Recherchen auf das Ende der Woche zu legen. Heute fangen deshalb viele Sonntagmedien erst am Donnerstag an, vorsichtig kontrovers zu recherchieren. Die Konfrontation der Betroffenen mit den Fakten findet am Samstag statt – erst dann können sie nicht mehr reagieren. Und vor allem: Auch die Konkurrenz hat keine Vorlaufzeit mehr, dieselbe Geschichte aufzunehmen.

Wie sind die Erfahrungen mit Medien sonst?
Ich stelle fest, dass sehr oft in allen Medien das Gleiche kommt, dass der eine dem anderen abschreibt. In den letzten Jahren hat sich die Zusammenarbeit mit der SDA problematischer gestaltet, weil diese Inputs oft sehr unreflektiert widergegeben hat. Das war in vielen Fällen Verlautbarungsjournalismus, ein Paradies für jeden PR-Menschen, wobei ich diese Tendenz nicht zuletzt auf die faktische Monopolstellung der SDA zurückführe. Aber als Bürger überlegt man sich ja trotzdem, ob das sinnvoll ist. PR-Firmen haben inzwischen angefangen, Medienmitteilungen, die früher reine Verlautbarungen waren, gleich inklusive Zitat zu liefern. Und die werden dann nicht selten von Online-Medien 1:1 so übernommen – lediglich das Kürzel des Journalisten wird noch hinzugefügt. Mit dem gestiegenen Zeitdruck ergibt sich oft auch die Situation, dass ein Lokalradiojournalist anruft und einfach dringend ein Zitat irgendeines Experten haben möchte. Man nimmt dann einfach den, der Auskunft gibt und nicht den, der etwas dazu zu sagen hätte.

Wie sehen Sie die Behörden?
Ich war von 2001 bis 2003 Informationsbeauftragter im Bundesamt für Strassen. Meine Auffassung war damals, dass alles, was die Verwaltung betrifft, auch öffentlich sein muss, dass man nichts verheimlichen oder verschweigen muss. Doch in den letzten zehn, fünfzehn Jahren führt sich die Verwaltung wie eine eigene Gewalt auf, die eigene Interessen durchzusetzen versucht. Ich hatte übrigens damals nur einen Mitarbeiter. Heute arbeiten in diesem Bereich sieben Personen. Den Vorwurf, dass dieser Bereich zu sehr ausgebaut wurde, teile ich.

Das Gespräch mit Michael Gehrken wurde am 16. September 2015 in Bern geführt.

Foto: Thomas Egger.

Als ergänzender Lesetipp sei das Interview «Man kann Dreck nicht zu Gold machen» in der Berner Zeitung empfohlen, das Stefan von Bergen mit Lorenz Furrer geführt hat.

FacebookTwitterPinterestGoogle +Stumbleupon