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Wahlveranstaltung

Drei Zürcher bei den Romands – und warum Roger Köppel ein SVP-Bundesratskandidat werden könnte

Die Zürcher SVP-Aushängeschilder Blocher, Köppel und Mörgeli treten an einem Anlass der UDC Vaud in Lausanne auf und sprechen einen Abend lang Französisch. Die Frage ist: Wohin geht es mit Roger Köppel nach den Wahlen?

Comment régler le chaos?

Die Sicherheitsvorkehrungen für den Anlass im Kongresszentrum Palais de Beaulieu in Lausanne sind scharf. Als ich am Eingang zum Anlass dem hinzugezogenen Chef der Security ein E-Mail von Claude-Alain Voiblet (SVP) zeige, in dem er mir die Akkreditierung für den Event zusichert, lacht er nur, und sagt, so ein E-Mail, das könne doch jeder hier zeigen. Bald darauf werde ich dann aber doch zur Medienkonferenz zugelassen. Als mich Roger Köppel (SVP) erkennt, ruft er mir gleich auf Französisch und im Scherz zu, ich dürfe dann hier keine Fotos machen, sonst würde ich rausgeschmissen (vgl. «Per sofort kein Zutritt mehr zum Bundeshaus für Nachbern.ch»).

Roger Köppel, Christoph Blocher und Christoph Mörgeli an einem SVP-Event in Lausanne am 2. Oktober 2015.

Eine Journalistin will wissen, wie das Asylchaos denn nun konkret aussehe, sie könne sich das nicht vorstellen. Blocher antwortet, dass das Schengen/Dublin-System nicht mehr funktioniere. Es sei halt alles relativ. Was für einen Italiener vielleicht noch kein Chaos sei, ist für einen Schweizer schon längst ein Chaos. Ob es Gemeinsamkeiten gebe mit der französichen Partei Front National? Nein, antwortet Blocher, das sei eine linke Partei mit etatistischen Lösungen.

Christophe #Blocher #UDC: "Nous sommes différents du @FN_officiel. Eux veulent plus d'État, ils sont de gauche" @la_tele

— Nasrat Latif (@NasratLatif) October 2, 2015

Es sei das dritte oder vierte Mal, dass Blocher in der Romandie ist, erzählt Organisator Voiblet den anwesenden Journalisten, von denen viele jung sind und einen Migrationshintergrund zu haben scheinen. Er sei sehr froh, diese drei Persönlichkeiten hier zu haben, was natürlich sofort die Frage hervorruft, weshalb drei Zürcher hier auftreten. Hat es denn keine attraktiven Kandidaten unter den Romands? Die SVP des Kantons Waadt wurde in den letzten vier Jahren von Bauern und Winzern vertreten, und einem Agraringenieur. Eine ausdrückliche Unterstützung erhalten die bisherigen Kandidaten André Bugnon (SVP), Jean-Pierre Grin (SVP), Guy Parmelin (SVP) und Pierre-François Veillon (SVP) keine. Auf der Website sind die wieder antretenden Bisherigen zusammen mit den neuen Kandidaten alphabetisch aufgeführt. Köppels «Weltwoche» beklagt sich zudem in der Titelgeschichte der aktuellen Ausgabe über den fehlenden Liberalismus vieler in der SVP: «Als schwer zu überzeugen gelten die meisten Romands», steht beispielsweise darin. Das Abstimmungsverhalten von Parmelin wird im Artikel gleich zweimal erwähnt.

Auf die Bühne kommen sie alle nicht heute. Die Kandidaten der Jeunes UDC Vaud jedoch schon:

Roger Köppel, Christoph Blocher und Christoph Mörgeli an einem SVP-Event in Lausanne am 2. Oktober 2015.

Bei ihnen sind die Zürcher gefragt als Autogrammschreiber:

Affiche dédicacée par Blocher, @koeppel @ChrMoergeli #CHvote #UDC #JUDC #cde pic.twitter.com/hzmx6N7P6o

— Karlen&Petit2015 (@KarlenPetit2015) October 2, 2015

Apropos Weltwoche: Blocher bedauert an der Medienkonferenz, dass es in der Romandie nicht ein Journal wie die Weltwoche gebe, vielleicht müsse sich eines gründen. Einige Ausgaben des Wochenmagazins werden nach dem Anlass verteilt, zusammen mit dem Parteiprogramm und einer SVP-Zeitung mit dem Titel «Edition Speciale». Das «Spezialdossier Asyl» der Weltwoche ist gleich der für die Journalisten zusammengestellten Medienmappe beigelegt. Nach dem Anlass führe ich mit einem Walliser ein Kurzinterview für die Rubrik «Schweizer Wähler». Als ich seinem schnellen Französisch kaum folgen kann, lacht er, auch er sei dazu gezwungen, besser deutsch zu lernen, wenn er die Weltwoche lesen und verstehen wolle.

Roger Köppel, Christoph Blocher und Christoph Mörgeli an einem SVP-Event in Lausanne am 2. Oktober 2015.

Roger Köppel, Christoph Blocher und Christoph Mörgeli an einem SVP-Event in Lausanne am 2. Oktober 2015.

Die in die Halle strömenden Gäste sehen auch nicht anders aus als SVP-Anhänger in der Deutschschweiz; viele sind grauhaarig und wirken eher rural als urban. Sie brauchen aber eine Zutrittsberechtigung, um überhaupt hereinzukommen. Haben sie keine, werden sie von zwei «Securitas»-Angestellten – einer weissen Frau und einem schwarzen Mann – genaustens untersucht. Der Saal dann füllt sich mit ein paar Hundert Personen etwas mehr als zur Hälfte. Wenn Blocher auf «Tele Blocher» erzählt (ab Minute 17:30), dass seine Wahlveranstaltungen «ausnahmslos ganz gut besucht» und «immer voll» sind und ausserdem von «sehr vielen jungen Leuten zwischen 18 und 30» besucht werden, dann ist das – zumindest was diesen Anlass in Lausanne angeht – nicht haltbare Wahlpropaganda.

Roger Köppel, Christoph Blocher und Christoph Mörgeli an einem SVP-Event in Lausanne am 2. Oktober 2015.

Zuerst wird das Partei-Musikvideo «Welcome To SVP» gezeigt, was eine erstaunlich grosse Erheiterung auslöst. Offenbar haben es die meisten Leute hier noch nie gesehen. Obwohl der Song auf Schweizerdeutsch ist, kommt er gut an. Überhaupt ist es ein äusserst dankbares Publikum. Blocher muss nur «Madame Sommaruga» sagen, und schon lachen die Leute. Man scheint sich hier einig zu sein, dass die EJPD-Vorsteherin und Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (SP) eine Lachnummer ist.

Die drei Zürcher sprechen alle frei und gut Französisch, auch wenn ihnen natürlich nicht immer alle Ausdrücke sofort präsent sind. Christoph Mörgeli (SVP) muss seine Sprachkenntnisse allerdings kaum beweisen. Er liest seinen historischen Vortrag, der den ganz grossen Bogen von der Bibel und dem Bundesbrief über die Hugenotten und die Uhrenindustrie bis zu den Flüchtlingen im 2. Weltkrieg schlägt, vom Blatt ab und erhält keine Fragen, weder an der Medienkonferenz noch am Anlass.

Roger Köppel, Christoph Blocher und Christoph Mörgeli an einem SVP-Event in Lausanne am 2. Oktober 2015.

Christoph Blocher (SVP) spricht die Sprache spätestens seit seiner Zeit als Bundesrat. Und Roger Köppel (SVP)? Er muss geübt haben. Die drei teilen sich den Abend in eine historisch-theoretische Rede, eine Unterhaltungsrede und eine Kampfrede auf: Historiker Mörgeli legt die Grundlage mit einem ernsten, historischen Unterbau. Danach lockert Altstar Blocher das Publikum als freier Unterhaltungsredner auf – und erhält schon in den ersten Minuten viele Lacher. Zuletzt folgt dann die Kampfrede von Roger Köppel, die, auch wenn sie keineswegs brüllend gehalten wird, mehrfach von spontanem Applaus unterbrochen wird; zum Beispiel, als er sagt, die Politiker in Bern würden in einem Paralleluniversum leben. Er glaube nicht, dass es Departementschefin Simonetta Sommaruga und Staatssekretär Mario Gattiker «können», man müsse das Personal wechseln dort. «Wenn man die Probleme lösen will, dann muss man die richtigen SVP-Leute nach Bern schicken! Es braucht Leadership in Bern!» Grosser Applaus am Ende, vielleicht der grösste Applaus des Abends.

Es stellt sich die Frage, wohin es mit Roger Köppel nach den Wahlen geht. Ist es ein Zufall, dass er Französisch geübt hat? Dass er als Kandidat für den Zürcher Nationalrat auf Listenplatz 17 in Lausanne Vorträge hält? Dass er sowohl bei der Medienkonferenz als auch beim Anlass den Platz in der Mitte, zwischen Mörgeli und Blocher, erhält? Dass er von Leadership redet, die es in Bern dringend brauche? Hier mal vier Szenarien:

1. Köppel wird nicht Nationalrat
Möglich, aber unwahrscheinlich. Durch seine Bekanntheit wird er von vielen Panaschier-Stimmen profitieren, die es für eine lustige Idee halten, ihn ins Parlament zu wählen.

2. Köppel wird in den Nationalrat gewählt und bleibt Nationalrat
Möglich. Aber mich würde es eher überraschen, wenn er es vier Jahre lang aushält, in den Kommissionen zu sitzen und im Saal die Abstimmungsknöpfe zu betätigen.

3. Köppel wird in den Nationalrat gewählt und tritt nach kurzer Zeit zurück
Für die Partei eine sehr gute Lösung. Sie kann mit ihm neue Wählerschichten für die Zürcher SVP-Liste erschliessen und zieht nach dem Rücktritt einfach einen Kandidaten nach.

4. Köppel wird in den Nationalrat gewählt und tritt an zur Bundesratswahl
Ich halte es für nicht unwahrscheinlich, dass der äusserst ehrgeizige Köppel nach einem SVP-Wahlsieg als Bundesratskandidat präsentiert wird. Als einer, der – so das Parlament will – als Bundesrat aufräumt mit dem angeblichen «Asylchaos» im Departement Sommaruga. Oder der – so das Parlament nicht will – die Partei in die Opposition führt.

Roger Köppel, Christoph Blocher und Christoph Mörgeli an einem SVP-Event in Lausanne am 2. Oktober 2015.

Die SVP-Unternehmer werden sich einig sein, dass es für den Management-Job des Bundesrats vor allem unternehmerische Qualitäten benötigt und nicht zwingend Erfahrung in der Politik. Vielleicht hören wir davon in der Elefantenrunde am Wahlabend. Oder dann in vier oder acht Jahren. Konkret von der «Schweiz am Sonntag» auf eine Kandidatur als Bundesrat angesprochen, antwortete Köppel mit einem Zitat, das angeblich von Golo Mann stammt: «Überschätzen Sie mich heute nicht, auf dass Sie mich morgen nicht unterschätzen.» Das Zitat kann mannigfaltig gedeutet werden. Aber wäre die Idee völlig abwegig – hätte sie Köppel nicht einfach dementieren können? Ob die Bundesrats-Findungskommissionen der SVP und die in den Medien von Seiten der SVP genannten Kandidaten mehr Nebelpetarden oder mehr Realität waren, wird wohl schon kurz nach den Wahlen Klarheit.

Denkbar sind auch Zweiertickets mit Kandidaten, die für das Gedankengut der Blocherschen SVP stehen, also Blocher selbst, seine Tochter Magdalena Martullo-Blocher (SVP) oder ein anderer in den letzten Jahren zu nationaler Bekanntheit aufgebauter Kandidat. Zu beachten sind auch die Sprachregionen: ein Rücktritt des Zürcher Bundesrats Ueli Maurer (SVP), von dem sich die Blochersche SVP irgendwie mehr versprochen hat, würde den Weg für Zürcher Kandidaten frei machen.

Der Anlass der UDC Vaud fand am 2. Oktober 2015 im Palais de Beaulieu in Lausanne statt.

Nachtrag, 13. Oktober 2015, 10 Uhr:
Die Möglichkeit, dass Ueli Maurer (SVP) zurücktreten und zwei neuen Kandidaten Platz machen könnte, wird heute auch vom „Blick“ thematisiert:

"Blick" vom 13. Oktober 2015

Oktober 12, 2015von Ronnie Grob
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Schweizer Wähler

Lausanne, 2. Oktober 2015, 22:28 Uhr

Lausanne, 2. Oktober 2015, 22:28 Uhr

«Wir im Wallis haben nicht so viel Auswahl, ich wähle einfach die Besten der SVP-Liste. Kandidaten anderer Parteien kommen nicht drauf. Wir müssen die Integrität der Schweiz bewahren, dank Christoph Blocher (SVP) ist das Chaos durch die Annäherung an die EU noch nicht so weit fortgeschritten. Dank seiner Popularität hat sich die SVP auch in der Romandie entwickelt und verfügt nun über einige wählbare Kandidaten. An der Urne sieht man jeweils, dass diese Partei durchaus Wähler findet, auch wenn sie verpönt ist. Früher war ich in der CVP, doch heute ist das eine Partei wie die anderen. Die Popularität ist wichtiger als alles andere. Die meisten Politiker sagen nicht die Wahrheit. Sie lesen die Zeitungen, um zu wissen, was sie morgen sagen, und um nicht von den Zeitungen kritisiert zu werden.»

Oktober 5, 2015von Ronnie Grob
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Analyse

Der Wahlkampf der SVP 2015:
Im Stil freundlich, in der Sache hart

«Politik isch ernst, aber hüt näme mer’s e chli easy!»

Textzeile aus dem SVP-Wahlsong «Welcome to SVP»

Man könnte annehmen, es sei lesenswert, wie einer der wichtigsten Politikjournalisten des Landes, «Rundschau»-Anchor Sandro Brotz, den Wahlkampf der Schweizerischen Volkspartei (SVP) sieht:

EU ächzt, Dublin ausgehebelt, Schengen wackelt – und die SVP hat lustige Videos, glatte Ideen, feiert Marignano. Führungslos? #GagaWahlkampf

— Sandro Brotz (@SandroBrotz) September 13, 2015

Ich glaube, er liegt total falsch und es ist andersrum. Die SVP dominiert den Wahlkampf bisher nach Belieben. Führungslos? Sind eher die anderen Parteien. Die Probleme der EU? Nützen der SVP direkt.

Begründet ist die SVP-Dominanz im Wahlkampf einerseits mit den aktuell im Brennpunkt stehenden Völkerwanderungen durch Europa. Und andererseits mit einer Strategie, die bisher voll aufgeht. Das Thema «Migration», das die Wähler wie kein anderes bewegt und über das viele der anderen Parteien lieber nicht sprechen wollten, ist das bisher einzige grosse Thema des Wahlkampfs. Haben die anderen Parteien eigentlich auch schon grosse Themen lanciert? Wenn ja, welche?

Eine Zäsur

Wer den SVP-Wahlkampf 2015 analysiert, dem muss doch auffallen, dass es sich um eine eigentliche Zäsur handelt. Das erste Mal seit über 20 Jahren sucht die SVP die Aufmerksamkeit nicht mit ästhetisch und ethisch fragwürdigen Plakaten. 2015 gibt es keine Hände, die nach Schweizer Pässen greifen. Keine Ratten, die Geldbörsen anknabbern. Keine Raben, die auf der Schweiz rumhacken. Keine «Verbrecher», die mit Pistolen auf die Bürger zielen. Keine Dunkelmänner, welche die Schweizer Flagge zerreissen. Keine weissen Schafe, die schwarze Schafe aus dem Land kicken. Keine auf Schweizer Terrain eintretende schwarze Schuhe. Die Geschichte der SVP-Plakate seit 1994 hat René Zeller letzten Freitag in einem NZZ-Artikel aufgerollt:

«Läuse, Mäuse, Reitstiefel, gefrässige Raben, gerupfte Hühner, gierige Krummfinger, Kriminelle, schwarze Schafe: Die SVP-Sujets, die konsequent auf die Schmerzgrenze – und zumeist unter die landläufig definierte Gürtellinie – zielten, existieren inzwischen in grosser Zahl. Fast immer folgte die Empörung auf dem Fuss. Und immer lachte sich die SVP ins Fäustchen, wenn sie erneut die Lufthoheit über den Stammtischen errungen hatte.»

Harmlos-biederes Auftreten

2015 spielt sich etwas Neues ab: Der Wahlkampf der SVP ist bisher harmlos, freundlich, bieder, selbstironisch, sogar ein bisschen witzig. Dank tatkräftiger Mithilfe der Medien sind beim Bürger vor allem zwei von der Partei produzierte Musikvideos angekommen: «Wo e Willy isch, isch ou e Wäg» (von Willy Vogel, über 170’000 Abrufe nach zweieinhalb Monaten) und «Welcome to SVP» (von DJ Tommy alias Nationalrat Thomas Matter, über 180’000 Abrufe nach vier Tagen). Die Plakate und Inserate reihen sich dieses Jahr in den Durchschnitt ein, sind vom Stil her nicht extremer als die der anderen Parteien.

Seit dem Aufstieg der SVP zur grössten Partei der Schweiz wird sie – durchaus zu Recht – für ihren schlechten Stil kritisiert. Wird sie jetzt, wo sie bemüht ist, auf den schlechten Stil zu verzichten, dafür gelobt? Ich habe bisher keine solchen Texte gelesen (Hinweise darauf sind willkommen). Und das muss heissen, dass die Journalisten der Partei zutrauen, dass sie im letzten Monat vor der Wahl alles umkrempelt und den Holzhammer auspackt. Oder aber, dass es die Journalisten einfach unterlassen, die SVP zu loben und es aktiv ignorieren, dass die Partei endlich ändert, was die Journalisten nun schon seit zwei Jahrzehnten kritisieren. Ob es sich dabei um ein temporäres Experiment handelt oder um eine dauerhafte Wandlung, bleibt abzuwarten.

Verwirrte Journalisten

Die Abkehr von den Negativ-Plakaten und -Inseraten nimmt den Journalisten, aber auch den SVP-Gegnern eine Projektion. Eine SVP ohne schlechten Stil kann man immer noch kritisieren (es gibt gute Gründe dafür) – es ist einfach nicht mehr ganz so simpel. Dass die Klagen über den schlechten Stil nahtlos von den Klagen über einen angeblichen «Gaga-Wahlkampf» abgelöst werden, hat etwas Heiteres. Denn kümmert es, wer mit der SVP nichts am Hut hat, tatsächlich, wenn sie mit ihrem seichten Willy-Song in der Versenkung verschwindet?

Allerdings haben sogar die Journalisten der «Basler Zeitung», die zu einem Drittel SVP-Übervater Christoph Blocher gehört, noch nicht verstanden, was sich abspielt: «Der versuchte Rollenwechsel irritiert. Was bezweckt die SVP damit?», fragen Hansjörg Müller und Samuel Tanner. Dabei ist die Analyse gar nicht so schwierig: Die ländliche, nicht-akademische, zuwanderungskritische Bevölkerung wählt so oder so SVP – andere Parteien bieten dieser Klientel kaum eine Alternative. 2015 geht es für die SVP vor allem darum, Personen zu gewinnen, die sie nicht sowieso wählen und auch 2011 schon gewählt haben. Sie macht sich deswegen schön für bürgerlich denkende Wähler, denen die Mitteparteien und die FDP zu profillos sind. Erreichen will sie das, indem sie urbane, akademische, intellektuelle Kandidaten wie Albert Rösti, Thomas Aeschi, Hans-Ueli Vogt oder Roger Köppel aufstellt und in den Vordergrund rückt.

Genau hinschauen

Viele empfinden natürlich auch den aktuellen SVP-Wahlkampf als überhaupt nicht harmlos und halten die Verwendung von Wörtern wie «Scheinflüchtlinge» oder «Scheinasylanten» (zum Beispiel im Parteiprogramm 2015-2019) für skandalträchtig. Ebenso selbstverständlich wird sich auch immer wieder irgendein SVP-Hinterbänkler politisch inkorrekt verhalten und so den Medien einen Anlass zur Berichterstattung geben. Die SVP ist eine grosse Partei, die sich fest vorgenommen hat, alle demokratisch und rechtsstaatlich gesinnten Kräfte am rechten Rand aufzusammeln. Dass Mitglieder in Einzelfällen aus der an sich demokratischen und rechtsstaatlichen Linie der Partei ausscheren, wird auch weiterhin vorkommen. Daran wird auch nichts ändern, dass die SVP offen radikal auftretende Mitglieder in den letzten Jahren konsequent ausgeschlossen hat.

Der Wähler darf sich jedoch nichts vormachen. Die Wahlkampfstrategie der SVP heisst 2015 «Im Stil lustig und freundlich, in der Sache aber knallhart». Wer diese Partei wählt, wählt ganz konkret mehr Härte, auf den verschiedensten Ebenen. Er sollte genau hinschauen, für welche Positionen, Kandidaten und Massnahmen er seine Stimme einlegt. Irgendwie «für die Schweiz» zu sein, ist kein ausreichender Grund, SVP zu wählen, denn bekanntermassen bleibt ein Wolf auch dann ein Wolf, wenn er den Schafspelz überstreift. Als grösste Partei verdient die SVP eine genaue Beobachtung, gerade von den Journalisten. Vielleicht kann das sachlichere Auftreten der SVP es nun endlich ermöglichen, dass sich die Journalisten verabschieden von der allzu emotionalen Beziehung, die sie in den letzten Jahren zu dieser Partei pflegten.

Eine zu starke SVP, die alleine definiert, was «schweizerisch» ist und was nicht, könnte für den Rechtsstaat und die Minderheiten gefährlich werden. Aber damit es soweit kommt, müsste sie schon wie die bayerische CSU über 50 Prozent der Stimmen holen. Und auch dann legt die Direkte Demokratie der Schweiz die jeweiligen Machthaber in ein recht enges Korsett. Die von den anderen politischen Kräften verbreitete Panik vor der SVP ist also nicht angezeigt.

Bild: Pressefoto welcometosvp.ch

September 14, 2015von Ronnie Grob
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© Daniel Jung
Hallo, mein Name ist Ronnie Grob. Seit 2007 arbeite ich als Journalist und Blogger. Ich bin verantwortlich für Nach Bern! – eine Website, die den Wahlkampf um die Schweizer Parlamentswahlen am 18. Oktober 2015 verfolgte. Details dazu HIER.

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