Die Neue Europäische Bewegung Schweiz (NEBS) lässt Zürcher Ständeratskandidaten die Zukunft der Schweiz in Europa diskutieren. Das Volk ist im Volkshaus Zürich aber nur partiell vertreten.

Ende August 2015 wurden 2013 Schweizer gefragt, welches das dringendste Problem ist, das die Schweizer Politik heute lösen soll. Die Top-Antwort war «Migration, Ausländer, Integration, Asyl & Flüchtlinge». Aber schon auf Platz 2 folgte «EU & Europa, Bilaterale». Dass die Neue Europäische Bewegung Schweiz (NEBS) zusammen mit den Young European Swiss (YES) über das Thema diskutiert, ist also durchaus ein Anliegen der Bürger. Der Abend ist Abschluss einer «Europatour» mit Podiumsdiskussionen in neun Schweizer Städten.

Anwesend am Anlass in Zürich sind etwa 80 Personen. Nicht anwesend, jedenfalls auf dem Podium nicht, ist die grösste Partei der Schweiz, die SVP. Bei den «Europatour»-Veranstaltungen in Lausanne, Chur und Lugano durfte jeweils ein SVP-Vertreter mitreden, in Neuenburg sogar deren zwei. Bei den «Europatour»-Veranstaltungen in Zürich, Genf, Freiburg, Basel und Bern dagegen war die grösste Partei der Schweiz dagegen nicht auf dem Podium vertreten. Warum nicht? Der Ständeratskandidat der Partei, Hans-Ueli Vogt (SVP), antwortet auf Anfrage, dass er eingeladen wurde: «Ich hatte auf die Anfrage nicht sofort reagiert, weil ich mir zuerst über die Teilnahme Gedanken machen wollte. Ich versäumte es dann aber, den Organisatoren bald eine Rückmeldung zu geben. Was diese wohl – verständlicherweise – als Absage deuteten. Sie fragten nach meiner Erinnerung aber auch nicht nach.» Die Vermutung, es gebe bei der NEBS eine gewisse Tendenz, unter sich zu bleiben und sich nicht mit der unangenehmen Realität einer Gegnerschaft bezüglich den eigenen Ideen beschäftigen zu wollen, greift also nicht. Vielleicht hat Vogt auch gezögert bei der Zusage, weil es für ihn vor einem solchen Publikum kaum Wählerstimmen zu gewinnen gibt?

«Ich möchte keinen Vorschlag von der SVP hören», sagt NEBS-Mitglied Barbara Schmid-Federer (CVP), die sich selbst als «sehr EU-freundlich» einstuft, in der Diskussion und man merkt, dass sie ganz zufrieden ist über die Nicht-Anwesenheit der Opposition auf dem Podium: «Die SVP lebt davon, dass sie eine Anti-EU-Partei ist. Mit der will ich doch keine Lösungen suchen.» Sie antwortet damit auf eine Idee von Ruedi Noser (FDP), der von der SVP einen konkreten Umsetzungsvorschlag für die Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» forderte: «Ich bin sicher, dass sie sich nicht mal auf einen einigen können», vermutet er. Daniel Jositsch (SP) dagegen hat Vorschläge für den Bundesrat bei der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative bereit: «Es wäre dumm, wenn der Bundesrat jedes Gespräch, jeden Schritt mitteilt. Das wird doch eh nur von rechts kritisiert.» Was auch immer der Bundesrat präsentieren werde – die SVP werde damit nicht zufrieden sein: «Glaubt irgendjemand, dass Sommaruga mit irgendeinem für die SVP akzeptierbaren Vorschlag aus Brüssel zurückkommt? Das wird niemals passieren.»

Was nun gilt bezüglich der Europäischen Union, ist nicht immer einfach zu verstehen. Ruedi Noser (FDP) erzählt etwa, es gebe eine Abwanderung von Arbeitskräften nach Deutschland, denn Deutschland sei attraktiver als die Schweiz: «Vielleicht werden wir bald Leerstände haben in unseren Wohnungen.» Nur um wenige Minuten später nachzuschieben, dass die EU im Moment zugegebenermassen an Attraktion verloren habe. Bastien Girod (Grüne) dagegen wünscht sich von der EU mehr Förderalismus und mehr direkte Mitbestimmung der Bürger wie in der Schweiz und zählt Anzeichen auf, dass sich die EU hier in die richtige Richtung bewege. Nur um wenige Minuten später nachzuschieben, dass die EU schon noch demokratische Defizite habe. Also wie man mit Griechenland umgegangen sei, das sei schon nicht in Ordnung gewesen.

Am ehesten Distanz zur EU haben die beiden Liberalen Noser («Wir müssen nicht mit der EU diskutieren, wie wir die Zuwanderung organisieren, das können wir selbst entscheiden») und Martin Bäumle (GLP) der erzählt, 1992 gegen den EWR-Beitritt gestimmt zu haben. Er hätte in der Folge nicht gedacht, dass der bilaterale Weg so gut funktioniere: «Ein EU-Beitritt ist nicht der richtige Weg.» Er warnt auch davor, Ecopop in die braune Ecke zu stellen. Das Volk habe mit der Ablehnung der Ecopop-Initiative «Ja» zu den Bilateralen gesagt. Und mit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative «Ja» zur Begrenzung der Zuwanderung.

Mitten in der Debatte läuft ein Mann aus dem Publikum zu Bäumle hin und schüttelt ihm die Hand. Dann setzt er sich in die erste Reihe des Publikums, aber nur, um wiederholt das Wort an sich zu reissen. Die SVP sei eine «Fascho-Partei», ruft er in den Saal und nennt Moderatorin Luzia Tschirky eine «Schnorritante». Das Publikum versucht, ihn mit «Shh-shh»-Zischen zur Ruhe zu bringen, was aber leider überhaupt nicht gelingt. Damit er verschwinde, verkündigt er, müsse man schon die Polizei holen. Und dann macht man einfach weiter in der Hoffnung, er möge nicht weiter stören, was nicht gelingt. Irgendwie ist der Störer sinnbildlich: Auch die 50,3 Prozent Befürworter der Masseneinwanderungsinitiative stören die Anwesenden gewaltig. Aber aktiv mit ihnen beschäftigen will sich niemand. Man hofft – ohne besonderen Anlass dazu zu haben – irgendwie auf ihr Verschwinden.

Die Veranstaltung fand am 8. Oktober 2015 im Blauen Saal des Volkshaus Zürich statt.

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