Es ist Montag, der 14. September 2015. Im Ständerat anberaumt sind die Differenzen zum Nachrichtendienstgesetz und die Reform der Altersvorsorge 2020. Die Sitzung beginnt um 15:15 Uhr und endet um 20 Uhr. Der Berner Ständerat Hans Stöckli (SP) redet zur Reform der Altersvorsorge und dankt Bundesrat Alain Berset (SP) «und seiner Mannschaft»:
«Sie haben uns ein Generationenwerk vorgelegt, das auch sturmresistent ist. Sie haben die wichtigen Pfeiler richtig eingeschlagen. Die Vorlage ist umfassend, die Zahlen stimmen. Sie haben die Transparenz verbessert. Sie haben aus den Fehlern der Vergangenheit die richtigen Schlüsse gezogen. Sie sind sich bewusst, dass die Mehrheit des Volkes in dieser Frage eben eine Mitte-links-Meinung hat.»
Ich finde die um 20:30 Uhr beginnende Wahlveranstaltung der Sozialdemokratischen Partei Zollikofen auf der Website Hansstoeckli.ch. Die Veranstaltung mit rund 20 Besuchern im oberen Stock des Restaurant Kreuz in Zollikofen ist sein zweiter Termin an diesem Abend. Um 18:30 Uhr redete Stöckli bereits im Club Catena zu den «Herausforderungen im Bundeshaus gestern, heute und morgen».
Hans wieder ins Stöckli
Unter dem Motto «Hans ins Stöckli» wurde Hans Stöckli 2011 in den (umgangssprachlich als «Stöckli» benannten) Ständerat gewählt. 2015 kandidiert der 63-Jährige erneut, und wie lautet sein Motto? «Hans wieder ins Stöckli». Als Wahlkampf-Goodie auf dem Tisch liegt ein auf beiden Seiten angespitzter Bleistift. Für was man den wohl brauchen kann? Zum Beispiel, um dieses Tischset auszumalen, das bis vor Kurzem auf der Website zum Download verfügbar war:
Stöckli wirbt auch mit Postkarten für sich:
Ich werde freundlich begrüsst in der SP Zollikofen, überhaupt machen die Leute hier einen sympathischen Eindruck. Alle sind sie per Du miteinander, gekommen sind auch einige Grüne. Das Durchschnittsalter ist in etwa das Durchschnittsalter heutiger Fernsehzuschauer, jünger als 40 sind geschätzt nur zwei oder drei Personen. Die Präsidentin der SP Zollikofen, Petra Spichiger, berichtet aus der Zollikofener Lokalpolitik, über den Bau des Kindergartens und zur Soldanpassung der Feuerwehr. Für die Bildungskommission und auch für den Vorstand werden Leute gesucht, und zwar «engagierte», keine «dekorativen».
Der Schweizer Zeitplan ist wie immer beeindruckend. Präsidentin Spichiger beginnt die Veranstaltung um 20:15 Uhr und um 20:28 Uhr entschuldigt sie sich, dass sie zwei Minuten zu wenig lang geredet habe: sie sei halt nicht von Bern. Ein anderer fügt hinzu, Hans habe zugesagt, um 20:30 Uhr zu kommen. Hans kommt dann um 20:45 Uhr. Er hat ein graues Hemd und eine rote Krawatte an, und begrüsst alle Anwesenden per Handschlag. Spichiger freut sich sehr, dass er da ist: «Hans hatte vier erfolgreiche Jahre im Stöckli».
Überraschend erfolgreich
Und tatsächlich, wenn Stöckli über seine Erfolge der letzten vier Jahre spricht, schwingt so etwas wie Überraschung mit, dass er so viel umsetzen konnte. Bei der Altersvorsorge-Reform 2020 zum Beispiel habe doch zu Beginn der Diskussionen niemand daran gedacht, dass eine Sicherstellung, gar ein kleiner Ausbau möglich sei – dank dem Schulterschluss Mitte-Links habe das aber nun geklappt. Oder die Energiewende: Es gebe zwar Kreise, welche diese rückgängig machen wollen, aber er glaubt nicht, dass das eine Chance habe. Der Entscheid, aus der Atomkraft auszusteigen, sei ein Highlight: «Das müssen wir durchziehen!» Sogar zum Bundesrat gibt’s lobende Worte. Die Zusammenarbeit funktioniere ja im Moment gut, nur dieser Maurer störe ab und zu.
Seine launige und nicht mal langweilige Rede beginnt Stöckli mit einem Scherz, der beim Publikum gut ankommt, weil er wie jeder gute Scherz auch ein Stück Wahrheit beinhaltet: «Ich war an jeder Sitzung des Ständerats – und immer pünktlich. Das hat einen einfachen Grund: Wir machen jeden Morgen Appell. Und wenn man da nicht dabei ist, dann gibt’s kein Geld.» 129 Mal hat er geredet im Ständerat, 127 Mal war er an einer Sitzung. 16 Vorstösse hat er eingereicht, 23 Gesetzesartikel mitformuliert. «Im Nationalrat herrscht ein Lärmpegel wie an der Autobahn. Im Ständerat aber musst du verdammt aufpassen, was du sagst, weil man dir nämlich zuhört.» Bei den Tiefpunkten der letzten vier Jahre macht er es sich einfach. Er zählt einfach drei Aktionen der SVP auf: Die Forderung nach einem Moratorium für Flüchtlinge, die Ausschaffungsinitiative, die Völkerrechtsinitiatitve. Doch schlecht kommt das bei diesem Publikum nicht an, es werden jedenfalls keine kritischen Nachfragen gestellt.
Finanzausgleich
Bern – der Stand, den Stöckli vertreten hat die letzten vier Jahre – wurde 2015 im Finanzausgleich der Kantone mit dem Betrag von 1’233’416’000 Franken entlastet – und erhält damit mit Abstand am meisten Geld, so viel wie kein anderer Kanton. Wird Stöckli von den Medien darauf angesprochen, sagt er jeweils: «Ich würde auch lieber geben als nehmen. Aber wir können nicht!». Als der «faule Bär» zu gelten, daran hat er sich gewöhnt. Er gibt jedoch zu bedenken, was wäre, wenn damals, 1848, nicht Bern, sondern Zürich zur Hauptstadt erkoren worden wäre. Und wenn der Flughafen nicht in Kloten stehen würde, sondern in einem Vorort von Bern. Ausserdem fliesse der NFA-Betrag (Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung), der Bern erhalte, gleich wieder in die Finanzierung der ETH (Eidgenössische Technische Hochschule Zürich). Das stimmt insoweit, als dass es sich um einen Beitrag in etwa gleicher Höhe handelt. Im Jahr 2013 weist der Jahresbericht der ETH einen Finanzierungsbeitrag des Bundes in der Höhe von 1’146’761’000 Franken aus. Wahr ist also: Der Kanton Bern erhält pro Jahr so viel Geld von den anderen Kantonen, wie die ETH pro Jahr vom Bund erhält.
Hat mich Hans Stöckli überzeugt? Eigentlich ja. Auf mich wirkt er nicht wie ein Showman, der den Schein vor das Sein stellt, sondern wie ein besonnener Sachpolitiker, dem es wichtig ist, was am Ende herauskommt. Das NZZ-Rating der Ständeräte weist die Abstimmungsentscheide von Stöckli mit einem Linksdrall von 2,2 Punkten als moderaten Sozialdemokraten aus. Als Sohn einer alleinerziehenden Verkäuferin ist er zudem einer der wenigen Sozialdemokraten, der die traditionelle Sozialdemokratie verkörpert und für die Arbeiterschaft – die ursprüngliche, aber längst abgewanderte Wählerschicht der Sozialdemokraten – glaubwürdig und wählbar ist. Ich würde ihn aber trotzdem nicht wählen. Denn das, was der Kanton Bern (Nettoverschuldung Ende 2014: 4’007’000’000 Franken) dringend nötig hat, nämlich eisernes Sparen, also rigorose Kostenkontrolle und Abbau von Leistungen, wird Stöckli nicht vertreten. Sondern das Gegenteil: Staatsausbau auf Kosten des Steuerzahlers. Auch nach den Wahlen wird Stöckli vor allem Gesetze beschliessen wollen, die noch mehr Steuergelder verbrauchen. Zum Beispiel für den von ihm mitinitiierten und vorangetriebenen Innovationspark Biel («Haben wir vor acht Jahren angefangen, aber wir brauchen noch etwas Geld.»)
Um 21:54 Uhr ist die Veranstaltung zu Ende, und Stöckli erhält ein Geschenk. Und ich bleibe dann gerne noch auf ein Glas Wein mit drei Sozialdemokraten. Denn dass Wahlveranstaltungen so nett sein können, hätte ich gar nicht erwartet. Mir wird empfohlen, mal einen SP-Küchentisch-Jass zu besuchen. Schade, dass der nächste Termin offenbar erst nach den Wahlen stattfindet. Da wäre ich gerne dabeigewesen.
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